Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


4.2.1.2 Geometrie-Strukturelement 2: Linie solitär oder als Kreuzung

Interessanterweise kann eine Linie ganz allein schon eine geometrische Struktur haben, wenn sie sich als einparametriges Gebilde im mehrdimensionalen Raum befindet.

(Befindet sie sich im Eindimensionalen, ist sie geometrisch ohne Struktur: eine Gerade eben. Aber: Sie kann immer noch bezüglich eines anderen Parameters als der Raumkoordinaten strukturiert sein: gestrichelt oder gefärbt oder beides…)

„Schöne“ Beispiele von Linien mit Struktur (oder „Selbstreferenz“) sind Spiralen, Schleppkurven, mannigfache Überlagerungen von Schwingungen wie Zykloiden, Rosetten usw. usf., zum Beispiel als Überlagerung von Kreis und Ellipse (blau) oder Kreis und Schwingung (rot: r=abs(sin(n*phi)), mit n gespielt):


Nun, das Spiel mit solchen Überlagerungen ist nach oben offen und soll hier nicht viel weiter geführt werden (ist aber eine lohnenswerte/empfehlenswerte Übung mit Winkelfunktionen und Polarkoordinaten!), als Anregung noch eine Überlagerung von Kreis, hermonischer Schwingung und (Zyklo-)Zykloide zu botanisch anmutenden Strukturen:

 


Übungsaufgabe 1:

Bilde die Figuren selbständig nach. Spiele mit den 4 unabhängigen Parametern der Kurve, den Amplituden und Wellenlängen von Schwingung und Zykloide, und genieße die entstehenden Besonderheiten wie Interferenzen! Recherchiere zur Ornamentik!

Übungsaufgabe 2:

Spiele mit den Farbkomponenten einer Spirale abhängig vom Winkel, bis du eine Besonderheit der Struktur entdeckst!

Spirale, alle drei Farb-Komponenten mit unterschiedlicher Schwingungslänge

Spirale, alle drei Farb-Komponenten mit anderer unterschiedlicher Schwingungslänge und Amplitude

Hier nun der Datensatz mit der „Schwebung“: Spirale in der Spirale!


Hier macht uns das Auge (als Sensor plus Auswerte-Einheit!) sofort einen „Strich“ durch die Rechnung: Wir sehen eine Farbentwicklung in der Fläche, nicht längs der Linie! Im dritten Anlauf ist es dann gelungen, eine sinnvolle Interferenz der Farbentwicklung zu erzeugen: Die Farbverteilung der Fläche ist eine Überspirale als „gedachte Linie“!

d = 5000
r = 900
For i = 1 To 40000
Circle (d + r * (1 + i / (10 * r)) * Cos(i / 100), d + r * (1 + i / (10 * r)) * Sin(i / 100)), 10, RGB(Int(125 * (1 + Sin(i / 55))), Int(125 * (1 + 1 / 1 * Cos(i / 53))), Int(125 * (1 + 1 / 1 * Sin(i / 51))))
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(Natürlich sind noch weitere Besonderheiten zu entdecken. Selber denken macht fett…)

Bei der Frage, ob eine Linie mit Knicken (Unstetigkeit ihrer Krümmung) noch ein einziges Element ist oder schon eine Anordnung mehrerer Linien darstellt, können sich die Geister scheiden. (Sonst wäre am Ende auch ein Kästchenmuster noch als eine einzige Linie interpretierbar, was den Sinn der Struktur-Fragestellung in Frage stellt…)

Betrachten wir die einfachste Linie, eine Strecke. Solche kann man unterschiedlich zu Strukturen gruppieren:

Gehen wir nun sogar von gebogenen Linien aus, so wird das Feld der Möglichkeiten „ein weites“! Die „Abstrakte Malerei“ lässt grüßen, und die Studenten der Malerei und Grafik können ein Lied von solchen Übungen singen. Auch die Computer-Grafik ist da nicht faul.

Dass dabei Schnittpunkte und Winkelbeziehungen selber wieder Strukturen bilden können, liegt auf der Hand. Auch andere Punkte von Linien können eventuell strukturell bedeutungsvoll sein: Mittelpunkte, Schwerpunkte, Wendepunkte, Punkte kleinsten oder größten Abstands zu anderen Objekten u.v.a.m

Linien können auch als Schnitte von zwei Flächen im Dreidimensionalen oder 3 dreidimensionalen Räumen im Vierdimensionalen usw. usf. erzeugt oder gedacht werden. Dann können sie als Interpretationshilfe dortiger Muster/Strukturen genutzt werden. „Beliebt“ sind hier die Kanten von mathematischen Polyedern oder mineralogischen Kristallen und ihre Beziehungen zueinander, vor allem ihre eventuelle Parallelität („Zone“).

Solche konvexen Polyeder kann man auch „aufblasen“ zu Sternen (wie man sieht, ist mir zwischendurch mal die Puste ausgegangen):

Zum Strern aufgeblasener Würfel

Aufgeblasener Deltoidalikosatetraeder

C60-Fußball

teilweise aufgeblasener Fußball-Stern (unfertig)


Weitere Steigerungen zu Linienstrukturen führen zu gebogenen 3-dimensionalen selbstrefenzierten Linien wie Lösungen von Integral- oder Differentialgleichungen, die auch schon im 2-Dimensionalen sehr ästhetische Scharen bilden können, oder auch zu Bezier-Kurven, die geradezu von der Ästhetik bestimmt zu sein scheinen, weil sie unserem angeborenen Gefühl für komplexe „Aufwand“-Minimierung (Abstand und elastische Energie) unterworfen sind:

Lösungs-Schar einer Differentialgleichung

Bezier-Kurve mit 4 Stützstellen


Die „Struktur“ der letzten Linie besteht also als innere, nicht in ihrer Beziehung zu anderen, und diese „innere Struktur“ kann man als „gewachsen“ empfinden, zumindest als im zeitlichen Prozess „eingeschwungen“, wenn man sie als Optimum bezüglich eines Parameters empfindet.

(Die dreidimensionalen Linien müsste man wieder in 3D-Darstellung bringen, vielleicht ausgehend von besonderen Kurven auf derKugeloberfläche?)

Fazit:

Die Linie als geometrisches Strukturelement kann selbst Struktur enthalten und ist damit in mehrdeutiger Hinsicht potentiell strukturbildend. (Man kann sie daher entfernt mit der Melodie in der Musik vergleichen.)

 

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