Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


2.7.1 Rechnen in geologischen Zeiträumen

(letzte Änderung: 02.05.2018)

In einem der Grundlagen-Abschnitte („Geometrie als Kunst der Vermischung von Dimensionen“) ist unter anderem der Fall der Durchwärmung einer abgetauchten Kontintalplatte behandelt worden. Die dort beispielhaft angenommenen Werte können natürlich verändert werden. Dazu muss man sich der grundsätzlichen Zusammenhänge klar sein:

  1. Der Durchwärmungsprozess ist in seinem Zeitablauf der Dicke der Platte gleich doppelt proportional (der Gradient sinkt mit der Dicke genauso wie die Wärmekapazität steigt, beides verlängert die Zeit, die somit quadratisch von der Dicke abhängt). man kann also ein Beispiel auf ein anderes übertragen, indem man das Dickenverhältnis für den Zeitablauf quadriert. (Eine zehnmal so dicke Platte braucht im Inneren hundertmal so viel Zeit, zeigt am Rand aber die gleichen Anfangs-Werte.)
  2. Eine idealisierte Rechnung berücksichtigt natürlich nicht die Eintauchgeschwindigkeit der Platte und nicht die Konvektion des flüssigen Magmas in Abhängigkeit von seiner Zähigkeit. Hierzu müsste die Modellierung viel ausführlicher sein und erforderte einen weitaus größeren Rechner.

Grundsätzlich ist es den Naturgesetzen (außerhalb der Quantenwelt) natürlich egal, in welcher Zehnerpotenz Längen und Zeiten vorliegen. Für den Menschen ist allerdings der Vergleich mit seiner Erfahrungswelt (diese liegt zwischen einer Zehntelsekunde – „Augenblick“ – und hundert Jahren – einem „Lebensalter“) interessant. Und da zeigt es sich, dass die geologischen Zeiträume viel, viel länger sind. Er muss sich hier also auf sein Mathematik-Verständnis verlassen können.

Trotzdem werden aber die grundlegenden Verhältnisse eindeutig sichtbar:

  1. Der Temperatur-Druck-Pfad (gemeint als gemeinsame Zeitabhängigkeit) hängt stark vom Abstand vom Plattenrand ab, genauso die Auswirkung der Schubspannung. Somit ist also auch bei einem ursprünglich einheitlichen Gestein nach dem Ab- und wieder Auftauchen ein unterschiedlicher Mineralbestand und vor allem ein unterschiedliches Gefüge zu erwarten, je nachdem, wie weit man sich im Inneren der Platte befindet. (Das wissen die Geologen schon lange, wir können das mit unseren Betrachtungen lediglich bestätigen.)
  2. Besonders die Zeit für den Übergang zurück in die „Normalbedingungen“ an der Erdoberfläche ist dafür verantwortlich, wie weit das Gestein von seinem „Gleichgewichtszustand“ entfernt ist und also empfindlich für Verwitterung bleibt. (Das spüren vor allem die Steinmetze, wenn Regress-Ansprüche erhoben werden…)

Die Geologie (Gesteine) hat zusammen mit der Paläontologie (Fossilien) seit Jahrhunderten Fakten gesammelt, die die Festlegung eines Nacheinanders verschiedener Perioden ermöglicht hat. Heutige Datierungsmethoden (meist auf Isotopenverhältnissen beruhend) können das Verständnis verfeinern.

Interessiert man sich für das Gefüge eines Tiefengesteins, so treten zur Dicke der eingetauchten Platte, zu den Temperaturen und Drücken sowie Zeiten als wichtige Prozessgrößen noch die Materialeigenschaften hinzu. Das gilt natürlich auch für die Differenzierung eines ehemals gut gemischten flüssigen Magmas hin zu einem plutonischen Gestein wie Granit!

Dazu muss man natürlich eigentlich weit ausholen, wozu hier nicht der Platz ist, denn man müsste alle möglichen Phasendiagramme der Reaktionspartner druck- und temperaturabhängig darstellen und miteinander verknüpfen. Aber einige leichter verständliche Aspekte muss man unbedingt erwähnen, um wenigstens eine ungefähre Ahnung von der Komplexität zu bekommen.

1. Die meisten Gesteins-Anteile sind silikatische Mineralien, weil sich das Quarzkristallgitter sehr gut eignet, in seine Lücken (je nach Druck und Temperatur) „fremde“ Metalle einzubauen. Stellt man sich das Magma vereinfacht als Mischung vieler Oxide vor (SiO2, Al2O3, CaO, K2O, Na2O, TiO2, SiO2, P4O6, FeO, Fe2O3, Fe3O4, MnO, CuO, B2O3, H2O, …, …), so kann man zwischen diesen binäre, ternäre usw. Phasendiagramme aufbauen und auch zwischen Mineralien, die aus diesen Oxiden bestehen, Phasendiagramme mit Mischkristallen, Kristallgemischen, Eutektika usw. usf. bilden, dass es eine wahre „Pracht“ ist. Man erleidet dort bald Schiffbruch, wenn man kein Fachmann ist, da diese alten Wissensgebiete natürlich mit historisch entstandenen Namen überfrachtet sind, die man nur lernen, aber nicht „verstehen“ kann. Hier meine 3-D-Visualisierung des Quarz-Gitters bei Raumtemperatur („Tiefquarz“):

Längssicht in die Schraubenlinien des Quarzes

Schrägsicht 2 zu den Schraubenlinien

Schrägsicht 1 zu den Schraubenlinien

Quersicht zu den Schraubenlinien


Man „ahnt“ die Möglichkeit des Einbaus weiterer Atome, wenn man etwas Druck ausübt.

2. Eines der „einfachsten“ Phasendiagramme wäre dann das zwischen SiO2 und einem einfachen, „reinen“ Feldspat, zum Beispiel Kalifeldspat Mikroklin KAlSi3O8. Aber schon hier wartet eine Tücke, denn es kann noch weniger Quarz darin sein als im Mikroklin/Orthoklas, und dann haben wir es mit dem „Feldspat-Vertreter“ Leucit KAlSi2O6 zu tun.

Phasendiagramm von Quarz bis Leucit (Quelle: scilogs.spektrum.de/mente-et-malleo/schriftgranit/) Das 2-Phasensystem Leucit – SiO2 unter 1 bar nach Schairer & Bowen (1948). Bei zunehmenden Druck wird das Leucitfeld immer kleiner und ist ab 5000 bar verschwunden.

Hier ein Ostsee-Fund eines Steins, der dem eutektischen Punkt oben bei etwa 55% SiO2 entspricht: Kalifeldspat-Einkristall mit leicht geordneten Quarz-Streifen („Schrift-Granit“ genannt):

Handstück Schriftgranit aus dem Kliff von Ahrenshoop

(Über die Kinetik der Entstehung solcher Strukturen siehe den nächsten Gliederungspunkt 2.7.2!)

Dann baut man ein Dreieck aus den Zusätzen Ca, Na und K auf:

Dreieck der drei Feldspate mit Mischungslücke zwischen K und Ca (Quelle: Wikipedia Feldspat: Phasendiagramm der Feldspatserie bei 900 °C) Bei Normaltemperatur weicht das Sanidin neben dem Anorthoklas zurück und hinterlässt eine weitere Mischungslücke.

Immer hat man hier das Aluminium dabei, weil die Feldspate nun einmal den wesentlichen Teil unserer kristallinen Tiefengesteine ausmachen.

Schon bei den Feldspaten allein kann man aus der Temperaturabhängigkeit erkennen, dass es im Laufe der Zeit unter Bedingungen des Übergangs zu Druck und Temperatur an der Erdoberfläche Entmischungen geben muss. Das hat den Nachteil des Festigkeitsverlustes im Einzelkristall, aber den Vorteil der Form-Anpassungsfähigkeit im Gefüge.

3. Alle Umwandlingen erfordern Umordnungen von Bindungen oder ganzen Atomen oder Atomgruppen. Das braucht unter Umständen Zeit, die von der Temperatur abhängt. Schon die Bildung der Kristalle selbst hat Zeit gebraucht, denn die Bausteine mussten „sich finden“. (Siehe Tempertaturabhängigkeit und Formstabilität bei den Modellierungen zu den zweidimensionalen Kristallen unter 1.2.4 Zweidimensionales zelluläres Formenwachstum analog den Kristallen)

 

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