Corona: absolut oder relativ messen?
Kann man in der Corona-Hysterie die Übersicht behalten?
(Hinweis 1: Auf Anregung eines Kommentators Ende 2021 aktualisiert: Siehe unten am Ende!)
(Hinweis 2: Das Selberrechnen der Verbreitung von ansteckenden Krankheiten kann man immer noch hier lernen: Corona selber rechnen!)
Täglich werden wir mit Zahlen zu Corona-Erkrankten bombardiert. Ein Reporter, der seinen Text verkaufen will, macht immer einer Katastrophe daraus.
Verantwortliche Politiker müssen nüchtern entscheiden. Ehrgeizige Politiker wollen Wählerstimmen haben. Wenn sie sich also oft zu Katastrophen äußern, sind sie „bekannt“. Ihre „Nüchternheit“ hat also andere Ziele.
Sehen wir uns das Prozedere bei Corona an: Es gibt keine weltweite (und nicht mal eine europäische!) Absprache, wie viele Personen eines Landes pro Tag getestet werden müssen. Es gibt auch keine Absprache, welche Menschengruppen getestet werden müssen.
Man kann also lediglich zur Kenntnis nehmen, wieviel positive Tests es gibt, wieviele davon gestorben sind und wieviele der erfassten Kranken genesen sind. Diese Zahlen gibt es auf der Seite der Johns Hopkins University für die gesamte Welt (https://coronavirus.jhu.edu/map.html) oder bei der WHO Europe für Europa (https://who.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/ead3c6475654481ca51c248d52ab9c61) oder beim RKI für Deutschland (https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4/page/page_1/).
Es kommt noch dicker: Da man nicht weiß, ob die einzelnen Länder oder Regionen ihren Test-Schlüssel oder ihre Daten-Zuordnung mit der Zeit ändern, kann man nicht einmal die Fallzahlen-Kurve eines einzelnen Landes als eine selbstkonsistente Wahrheit nehmen. Ist ein Toter nur wegen Corona gestorben oder „mit Corona“ als zusätzlicher Belastung seines Zustands?
Das ist für jeden einzelnen Menschen und seine Angehörigen schlimm, so oder so. Aber für Politiker, die Entscheidungen treffen müssen, ist das schon wichtig, wie die absoluten Zahlen und ihr Relationen sind.
Welche Zahlen kommen vor (Auswahl)?
absolute Zahlen:
– Zahlen der insgesamt und/oder der täglich neu Infizierten
– Zahlen der insgesamt und/oder der täglich Gestorbenen
– Zahl der akut Kranken (die bekannten genesenen Infizierten also nicht dabei)
– Zahl der Kranken mit Symptomen
– Zahl der Kranken ohne Symptome
– Zahl der Krankenhausbetten
– Zahl der Einwohner eines bestimmten Bezugsgebietes
– Zahl der insgesamt und/oder der täglich Getesteten
– Inkubationszeit
relative Zahlen als Verhältnis zweier absoluter Zahlen:
– Verhältnis der Infizierten zur Einwohnerzahl: gemessener Durchseuchungsgrad
_ Verhältnis der akut Kranken zur Bevölkerungszahl: Krankenstand
– Verhältnis der Krankenhausbetten zur Einwohnerzahl: Versorgungsgrad
– Verhältnis des KH-Bettenbedarfs zu KH-Betten: Auslastungsgrad
– Verhältnis von insgesamt Gestorbenen zu insgesamt Infizierten: Letalität
– Mindest-Durchseuchungsgrad für „Herden-Immunität“
– Verhältnis der täglich Infizierten zur Gesamtzahl der Infizierten
– Verhältnis der täglich Infizierten zur Gesamtzahl der akut Kranken
– Verhältnis der täglich Infizierten zweier gleichgroßer Zeitabschnitte, möglichst im Abstand der Inkubationszeit: Reproduktions-Wert („R-Wert“)
– Verhältnis der Getesteten zur Einwohnerzahl: Untersuchungsgrad
– Verhältnis der nicht erfassten Kranken (z.B. ohne Symptome) zu den erfassten: Dunkelziffer
– (1+Dunkelziffer)*Durchseuchungsgrad: wahrscheinlicher echter Durchseuchungsgrad
gemischte Zahlen:
– Zeitabschnitt (absolut) für die Verdoppelung (relativ) der (absolut) Infizierten: Verdoppelungszeit t2
Beziehungen zwischen den absoluten Zahlen:
– Gesamtzahl = Summe der täglichen Zuwachs-Zahlen ( bestimmtes Integral)
– tägliche Zuwachs-Zahl = Differenz zweier benachbarter Gesamtzahlen (1. Ableitung)
– akut Kranke = Gesamtzahl der Infizierten minus Gesamtzahl der Genesenen minus Gesamtzahl der Gestorbenen
oder:
– akut Kranke = Gesamtzahl der Infizierten heute minus Gesamtzahl der Infizierten vor tK Tagen (tK: angenommene mittlere Krankheitsdauer, etwa 14 Tage)
Hieraus ergibt sich, dass man leicht verwirt werden kann, wenn man Gesamtzahl und tägliche Zuwachs-Zahl (beides sind absolute Zahlen!) nicht sauber voneinander trennt. Die berühmten „wichtigen Werte“ wie Verdoppelungszeit t2 und Reproduktions-Wert R beziehen sich auf unterschiedliche Zahlen, t2 auf die Gesamtzahl und R auf die tägliche Zuwachs-Zahl. Beide sind Hilfsmittel, um zu prognostizieren, wie es bei UNVERÄNDERLICHEN Werten weitergehen WÜRDE, damit man entsprechende politische Entscheidungen JETZT treffen kann.
Für jegliche Vergleiche unterschiedlicher Regionen oder Staaten sollte man immer die relativen Zahlen zu Rate ziehen. Aus denen lassen sich dann die absoluten immer zurückrechnen.
Stand 1. April 2020:
Nehmen wir Deutschland als Beispiel einer Überschlagsrechnung:
– rund 80 Mio Einwohner
– rund 80 Jahre Lebenserwartung
Im Normalfall (ohne Corona und ohne exakte Alterspyramide) sterben also im Schnitt rund 1 Mio im Jahr und also rund 3.000 Menschen am Tag. An den letzten beiden Tagen (Monatswechsel März/April 2020) kamen täglich als absoluter Wert 200 Corona-Tote hinzu (relativer Wert: weniger als 10% der Toten). Diese Zahl wird eventuell steigen, liegt aber im Moment noch deutlich unter der „natürlichen“ Rate. Politiker müssen aber schon jetzt Entscheidungen treffen und haben schon viele getroffen. Wie aber will man „Erfahrungsaustausch“ mit anderen Ländern, die mehrere Tage „Vorsprung“ vor Deutschland haben, betreiben, wenn man die jeweilige Basis der Datenerhebung nicht kennt? Es kann ja schließlich nicht sein, dass das Virus in Deutschland über zehnmal schwächer sein soll als anderswo, wie die Relation der Todesfälle mit den Infizierten nahelegt!
Die Ausgangsbeschränkungen haben erreicht, dass der tägliche Zuwachs der Infizierten nahezu konstant geworden ist, in Europa zuerst in Italien. Oder liegt das an einer konstanten, der Entwicklung also nicht angepassten Testzahl? Wer weiß das? Welcher Reporter „recherchiert“ das? Welcher Reporter begreift, dass er das überhaupt recherchieren müsste?
Das amerikanische Institut benutzt nur Klinik-Zahlen. Mit diesen Zahlen kann man ein Diagramm bauen, in welchem man – hier linear skaliert – den realtiven Anteil der infizierten Bevölkerung darstellen kann. Für einen fairen Vergleich habe ich für jedes Land ein „Tag Null“ festgelgt, an dem die Verseuchung bei 30/100.000 lag. Das sieht dann mit Zahlen bis zum 1. April 2020 so aus: (vergleiche grundsätzlich: Diagramme als grafische Darstellung):
Italien, die Schweiz und Spanien sind die zeitlchen Vorreiter und haben allesamt eine „Linearisierung“ hinbekommen, allerdings auf unterschiedlichem Niveau (welches man „Verdopplungszeit“ nennen könnte). Auch Deutschland (schwarz, etwas dicker) ist in diesem Diagramm schon linear, mit einer noch etwas größeren Verdopplungszeit (das heißt: mit einer flacheren Geraden; UND Deutschland außerdem mit einer niedrigeren Geraden, also relativ frühen Maßnahmen).
In den nächsten Tagen sollte man also ein Diagramm der akut Kranken erstellen, wozu die Genesenen von den Infizierten zu subtrahieren wären. Dazu reicht im Moment die Datenmenge noch nicht aus, vor allem, wenn man die ober erwähnten Fehlerquellen beherzigt.
Stand 14. Mai 2020:
Hier die neuen Werte einige Zeit später:
Stand 12. Juni 2020:
Hier wieder die neuen Werte, diesmal unter Einbeziehung Südamerikas:
Hinweis zum Verständnis des R-Wertes:
Er entspricht dem uns bekannten Zinssatz für Geldanlagen, wenn man von ihm 1 abzieht. Beim Zinssatz muss man 1 addieren, um zur Basis der Exponentialfunktion zu kommen (z. Zinssatz, n: Periodenzahl, to: Periodendauer, t:Zeit, ^ beduetet „hoch“, der Wert dahinter ist also der Exponent)
Geld(t) = Geld(0)*(1+z)^n = Geld(0)*(1+z)^(t/to) .
Der R-Wert ändert sich aber laufend, die Zinsen nicht ganz so schnell. Der R-Wert kann also für eine hypothetische Sicht in die Zukunft benutzt werden. Das Geld würde bei negativem Zinssatz (Soll-Zinsen) sinken, der Krankenstand sinkt bei negativem Wert von (R-1), also bei R<1.
Der R-Wert ist hier so berechnet worden (FZ: Fallzahlen gesamt, n: Glättungsdauer, m: Infektionszeit):
R = ((FZ(t)-FZ(t-n+1))/(FZ(t-n)-FZ(t-2n+1)))^(m/n)
Damit wäre R die Basis der momentan anzusetzenden Exponentialfunktion für den Krankenstand K:
K(t) = K(0)*R^(t/m)
Mit R>1 steigt K mit der Zeit t, mit R<1 sinkt K.
ACHTUNG: Der R-Wert allein sagt nichts über den absoluten Wert des Krankenstandes und damit über die Belastung der Krankenhäuser aus, sondern zeigt nur die Veränderung an. R-1 ist also lediglich der relativ zum Absolutwert gemessene Anstieg des Krankenstandes, sowie ein Zinssatz allein noch nicht über die Höhe der absoluten Zinsen aussagt, solange man nicht das Guthaben kennt und damit multipliziert. Wenn man also nach einer Zeit mit R>1 wieder zu R=1 zurückkehrt, ist die Verschlimmerung des Zustandes nicht vorbei, sondern wird nur einfach nicht NOCH schlimmer. Nur R<1 verbessert den Zustand.
Ginge man davon aus, dass das Virus überall gleich gefährlich ist, könnte man aus den relativen Werten der Todesrate (auf Infizierte bezogen) das Verhältnis der Dunkelziffern in den Ländern bestimmen, indem man erst einmal vomLand der geringsten Corona-Sterblichkeit ausgeht. Man würde dann in den Ländern der höchsten Sterblichkeit zu einem Infizierten-Anteil kommen, der der tatsächlichen „Durchseuchung“ schon näher käme und ein Abflachen der Kurve auch ohne zusätzliche Maßnahmen erklären könnte.(siehe Beispiel-Rechnung)
Genau das wäre für die Politik wichtig und genau das existiert nicht. Deshalb kümmert sich die Politik in nie gekannter Weise um das persönliche gesundheitliche Risiko, wie sie es bei Umweltfragen, Verkehrssicherheit und anderen Dingen (Rüstung!!!) nie getan hat.
Aber ziehen wir das Gedanken-Beispiel mit heutigem Stand mal durch:
Berücksichtigt man, dass Deutschland Italien nach den relativen Infektionszahlen etwa 1 Woche hinterher ist (was, wie gesagt, unsicher ist, weil der Testraten-Unterschied nicht bekannt ist), so kann man ermitteln, dass die Sterberate für erfasste Infizierte in Italien (rund 10%) etwa 8-mal so groß wie in Deutschland (etwa 1,2%) ist. Daraus folgte, dass in Italien die Dunkelziffer der Infizierten 8-fach höher wäre, also mit Stand heute (2.4.) statt etwa 180/100.000 bei 1.500/100.000, also bei 1,5 % läge. Also selbst dann wäre nur etwa 1 Mensch von rund 60 infiziert.
Man kann daran erkennen, wie weit wir noch von einer Immunisierung weg sind. Bleibt der Anstieg im günstigsten Fall weiter linear (16/100.000 pro Tag mal 8 ist 130/100.000 pro Tag = 0,13% pro Tag) , würde es noch etwa ein Jahr bis zur 60%-Immunisierung dauern. In dieser Zeit würde die Sterberate sicher sinken, weil die besonders Gefährdeten im Anteil abnehmen. Eine Hochrechnung auf die Gesamtzahl der Corona-Opfer wäre mathematisch möglich und relativ einfach, angesichts der vielen Unsicherheiten bei der Datenerfassung aber unverantwortlich, denn diese Zahlen gingen dann in die Millionen für Europa (auch bei etwas weniger als 1% Sterberate).
Man erkennt zumindest und das absolut sicher, dass Zeit ein wichtiges Argument ist, denn bis dahin (in einem Jahr) soll es Impfstoffe und Medikamente geben. Und: Der Bedarf an Krankenhausbetten wird zeitlich gestreckt. JEDE Maßnahme für die tatsächliche Reduzierung der Geschwindigkeit der Ausbreitung ist also GUT!
Man darf sich wünschen, dass wir anschließend den Öffentlichen Nahverkehr, das Tempolimit und andere gesundheitsrelevanten Dinge genauso ernst nehmen werden…
Wer das Wohl des Einzelnen über das Wohl der Gemeinschaft stellen will, darf auch dann noch für „liberale“ Konstrukte an die Wahlurne gehen. Wer aber vom Staat Sicherheit und Fürsorge und finanziellen Lastenausgleich nach einer Krise verlangt, sollte bei der Größe der „Freiheit“ im Sinne von „Beliebigkeit“ aber auch freiwillig Abstriche machen können. Das wäre gelebte Solidarität mit seinesgleichen.
Relative Werte (auf der Basis der von den Staaten gemeldeten und unterschiedlich erhobenen Zahlen) zum 29.5.2020:
Brasilien ist dabei, viele andere zu überholen. Schwedens Spitze liegt unter der von Deutschland. Russlands Spitze ist unter der von England geblieben.
Spanien hat die Zählweise zweimal verändert (absolute Gesamtzahlen können nicht sinken, die relativen Gesamtzahlen bei etwa unveränderter EW-Zahl also auch nicht!): einmal nach oben korrigiert (Altersheime), einmal nach unten.
(Die hohen Werte von Belgien sind unerklärt. Vermutet wird eine generelle Zuordnung der Toten in Pflegeheimen auch ohne Corona-Test.)
UPDATE am 30.11.2021
Nun sind wir also fast zwei Jahre schlauer geworden. Wir haben viel gelernt:
1. Wir haben gelernt, dass man aus einer Pandemie lernen kann, wenn man das will, nämlich
- es gibt einen Konflikt zwischen privaten und gesellschaftlichen Interessen
- es gibt einen Konflikt zwischen nationalen und internationalen Interessen
- es gibt ein riesiges Defizit an Problembewusstsein (biologisch, medizinisch, soziologisch, psychologisch)
- es gibt ein riesiges Defizit an mathematischem Verständnis der Vorgänge in einer Pandemie
- es gibt ein Vertrauensdefizit in das Expertenwissen
sind Probleme, die bewusst in Angriff genommen werden müssen. Wir haben die Lehren aus der Zeit mit Pest, Typhus und Cholera schlicht vergessen.
2. Wir mussten feststellen, dass es Interessen gibt, die dem oben angeführten Lernprozess entgegenstehen, weil Besitzstandsverlust befürchtet wird.
3. Wir mussten feststellen, dass die Politik durch ihre eigene Angst (Wählerstimmen könnten verloren gehen) gelähmt ist und weit hinter der Verantwortungswahrnehmung der Herrscher des ausgehenden Mittelalters zurücksteht.
Wer im Abschnitt Corona selber rechnen! einmal die allereinfachsten mathematischen Anfänge eines rückgekoppelten Prozesses nachverfolgt hat, weiß, dass wir immer noch ganz am Anfang der Pandemie stehen. Hier die aktuellen Daten, in ähnlicher Weise in EXCEL zusammengefasst wie oben:
Im Vergleich mit der obigen Darstellung der ersten Welle hat sich viel verändert:
Zum Guten:
Obwohl wir viel mehr Infektionen haben, sterben durch das Impfen reltiv weniger Menschen, weil die Krankheitsverläufe nicht so schwer sind. Das ist ein großer Erfolg.
Zum Schlechten:
Durch die weltweit ständig hohe Zahl aktuell Infizierter (eine Erd-Halbkugel hat immer Winterhalbjahr) hat das Virus eine große Chance, ständig funktionsfähigere Mutanten hervorzubringen. (Das ist eine mathematische Selbstverständlichkeit, die völlig unabhängig von politischen oder religiösen Vorlieben des Menschen ist. (Vergleiche auch Abschnitt 1.2.2: Zweidimensionaler zellulärer Automat „5 ergeben 1“ (2-5-er Universum) mit Gendefekten und Immunsystem). Das ist ein großer Misserfolg.
Die Gesamtzahl der bisher einmal Infizierten in Deutschland ist im Moment mit knapp 6 Millionen noch nicht einmal bei 10 % angekommen, der Anteil der vollständig Geimpften beträgt knapp 70%. Das sind Zahlen, die uns am Anfang so erschienen, als ob dann eine „Herdenimmunität“ erreicht sein könnte. Dazu sind folgende Dinge festzuhalten:
- „Herden-Immunität“ besagt, dass von da an die Wahrscheinlichkeit für das Individuum sinkt, angesteckt zu werden.
- „Herden-Immunität“ besagt, dass von da an die Zahl der gleichzeitig Kranken rückläufig ist, wie in der grünen Kurve im Abschnitt Corona selber rechnen! vorgerechnet worden ist.
- Weder 1. noch 2. besagen, dass man dann nicht mehr angesteckt werden könne.
- Jede neue Virus-Mutation setzt sich von allein nur dann durch, wenn sie sich besser vermehrt als die vorangegangene, entweder weil sie an sich ansteckener ist oder weil sie sich besser im Kranken vermehrt und besser ausgeschieden wird.
- Es werden sowieso ständig Mutanten gebildet, von denen die allermeisten sich nicht durchsetzen können. Ihre Anzahl und Häufigkeit aber sind der weltweiten Anzahl der Kranken direkt proportional. Daraus folgt, dass es völlig egal ist, in welchem Teil der Welt das passiert, weil durch den internationalen Austausch sowieso jede Mutante überall hinkommt. Daraus folgt, dass selbst eine 100-prozentige Impfung gegen die alten Mutanten mit nachfolgender völliger Ausrottung der alten Mutanten in Deutschland keine Gewähr dafür ist, dass keine neue Mutanten in anderen Ländern entstehen und zu uns getragen werden, solange nicht in der gesamten Weltbevölkerung eine komplette Immunisierung entstanden ist. Daraus folgt weiter, dass wie in Zukunft mit Corona leben lernen müssen, wie wir es mit der Grippe auch gelernt haben: Jährliche Impfung gegen die neuen Varianten auf der Basis persönlicher Entscheidung, solange es keinen Pandemiefall gibt (festzulegender Schwellwert der nationalen oder weltweiten Fälle), oder gesellschaftliche Maßnahmen.
Aus all dem folgt, dass ein gesellschaftlicher Konsens gefunden werden muss, nach welchen ethischen „Werten“ man gemeinsam handeln will, um das Dilemma zwischen Krankheit und Tod (bisher bis zu 2% der Erkrankten, aber fallende Tendenz, wenn nicht neue Mutanten etwas anderes bringen) einerseits und Einschränkung von Wirtschaft und privater Freizügigkeit andererseits zu lösen. Die beiden „Fraktionen“ in unserer Gesellschaft („alles zumachen“ und „alles laufenlassen“) leben im gleichen Raum und können das nicht gegeneinander lösen. Die Frage klingt ganz einfach und ist hochkompliziert:
Wie stehen Gemeinwohl und Persönlichkeitsrecht zueinander? Endet meine Freiheit „an der Nasenspitze des Nachbarn“, also an der Einschränkung der seinen?
Bei den Hochwasser-Opfern sind wir solidarisch und zahlen nachträglich Steuergroschen an die Leichtsinnigen, die sich nicht versichert haben.
Vorausschauend Maßnahmen zu ergreifen, um Corona-Tote zu verhindern, fällt uns schwerer.
Es ist zur Zeit sogar richtig grotesk:
Die (relative!!!) Auslastung der Intensivstationen unserer Krankenhäuser soll der Gradmesser für die Maßnahmen sein.
Das heißt im Klartext:
Da die Todesrate der Erkrankten als relative Größe bekannt und ziemlich konstant ist (auch die Todesrate in den Kliniken ist bekannt, wird aber nicht kommuniziert), ist die Zahl der Corona-Toten also direkt proportional zur Zahl der belegten Intensivbetten. Also: Das Bundesland mit relativ mehr Betten „darf“ also relativ mehr Tote produzieren, also im allgemeinen auch eine höhere 7-Tage-Inzidenz aufweisen, bevor Maßnahmen ergriffen werden müssen!
Sollte man die politisch Verantwortlichen für solche Vorgaben wegen fahrlässiger Tötung verklagen oder als Freiheitskämpfer für die Gesunden feiern???
Es gibt einen großen gesellschaftlichen Klärungsbedarf, denn es geht nicht um „wahr“ oder „wirklich“ (das sind die Toten unweigerlich), sondern um gemeinsam erarbeitete ethische und moralische Werte, also doch um unsere politische „Wirklichkeit“.
Kommentare
Wolfram Adolphi am Freitag, 15. Mai 2020:
Vielen herzlichen Dank für diese Verständnishilfe und die dafür notwendige Kärrnerarbeit. Die Hinweise auf „die Politik“ sind nur knapp und wie zufällig eingestreut – aber umso deutlicher tritt das Ausmaß der Gesellschaftskrise hervor. Die aufs Angebot gebaute Wirtschaft, die in ihrer Landnahme selbstverständlich auch die Gesundheitsvorsorge, die Krankheitsbekämpfung und die Pharmaindustrie gekapert hat, einen zum Überbietungswettkampf gezwungenen Journalismus hervorbrachte und den Menschen ausschließlich in seiner Eigenschaft als „Verbraucher“ gebrauchen kann, lässt keinen Raum für Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit. – Danke auch für den Verweis auf Umweltfragen, Verkehrssicherheit und Rüstung und die drei Ausrufezeichen!
Walther am Freitag, 26. November 2021:
Die Zeiten haben sich geändert und die täglichen Zahlen auch.
Ich könnte mir vorstellen, dass es auch hier mal ein „update“ geben könnte. (?)
Joachim Adolphi am Dienstag, 30. November 2021:
Hallo Walther, danke für den Hinweis auf ein Update. Ist hiermit erfolgt! LG JA