Erhaltungssätze für Anfänger
Extensive Größen (siehe dort!) unterliegen unter bestimmten Bedingungen Erhaltungssätzen.
Diese Erhaltungssätze können als allgemeine Summe, als Gleichheit zweier Teilsummen oder (elegant!) als Integral formuliert werden.
Beispiele:
Hebelgesetz statisch:
„Last mal Lastarm gleich Kraft mal Kraftarm“, „Die Summe aller Drehmomente ist Null“, „Das Linienintegral der Last ist Null“.
Energieerhaltungssatz:
Die Summe der Energie bleibt erhalten, sie kann nur in andere Formen umgewandelt werden.
Impulserhaltung, Massenerhaltung, Ladungserhaltung, usw. usf.
Spannend wird es aber dann, wenn eine Größe sich im Raum verteilt:
Erhaltungssatz der elektrischen Feldlinien um eine Ladung anders formuliert:
Das geschlossene Oberflächenintegral der Feldliniendichte um eine Ladung ist unabhängig von der Form der Oberfläche konstant, denn es kann ja keine Feldlinie nicht austreten. (Daraus folgt je nach Dimensionszahl eine bestimmte Abhängigkeit der Feldstärke vom Abstand, denn ein Kreis als Querschnitt eines zylindrischen Problems (2-dimensional) verändert seinen Umfang anders – linear – als eine Kugel (3-dimensional) ihre Oberfläche – quadratisch – oder eine ebene Struktur (1-dimensionales Problem) – gar nicht!)
Da Feldliniendichte und Feldstärke im Zusammenhang stehen und Feldstärke und Potential auch, und da das in den Fällen anderer Felder als dem elektrischen nach den gleichen geometrischen Zusammenhängen passiert, sind mathematisch gesehen alle diese Realitäten auf gleiche Weise strukturiert.
Die Ladung o.a.m. selber kann wiederum als Volumenintegral einer Ladungssverteilung gesehen werden.
Und jeder reale (auch zeitabhängige) Fall kann wiederum als Überlagerung (Summenbildung nach dem Superpositionsprinzip) gewichteter Spezialfälle gesehen werden, im komplizierten Fall als Reihenentwicklung nach orthonormierten Funktionen (Green, Bessel („Zylindercosinus“)).
Solche Gedanken brauchen wir zum Beispiel bei der „Fütterung“ von wachsenden Kristallen oder Achaten durch Diffusionsströme aus der Umgebung. Eine Wiederauffrischung unserer Fähigkeiten bei der analytischen Integralrechnung oder der geschickten Formulierung numerischer Integration ist also eventuell angesagt!
Man sieht: Systeme extensiver Größen lassen sich im Rahmen ihrer Erhaltung leicht „auseinandernehmen“ und wieder „zusammensetzen“ (summieren oder integrieren).
Das geht auch mit Geld: Siehe „Bilanz“ eines Unternehmens: Die Summe der Aktiva und Passiva muss Null sein, weil beide entgegengesetzt gleich groß zu sein haben, wenn man sich nicht verrechnet und nicht betrogen hat.
Hier ein zur Abwechslung buntes Bild zum Erhaltungssatz des Impulses (und zu dem der Energie!):
Bei manchen Erhaltungssätzen, die etwas versteckt sind, liest man kuriose Sachen:
„Ärzte schlagen Alarm: Herz-Kreislauf-Erkrankungen legen als Todesursache zu!“
Ja, woran soll man denn sterben, wenn der Schnupfen nicht mehr reicht? Wenn die Summe aller Ursachen einem Erhaltungssatz entspricht, nämlich der 100%-igen Sterblichkeit, und der Schnupfen von 12% auf 2% sinkt, verteilen sich die gewonnenen 10% auf alle anderen Ursachen proportional. Eine völlig gesunde Bevölkerung wird also an der letzten unbesiegten Krankheit sterben müssen, an Altersschwäche. Worin aber wird diese sich ausdrücken, in Herzstillstand? Ist das eine Herz-Erkrankung? Eigentlich ist das nicht spaßig, aber die Schreiberlinge wissen das nicht.
Auch bei anderen Themen, wo Werte gern in Anteilen eines Ganzen, meist in Hundertsteln („Prozent“) ausgedrückt werden, wird Unsinn verzapft, indem ein ungeschickter Bezug vorgenommen wird:
„Anteil der nicht beanstandeten Geräte gering gestiegen: um 0,1 Prozent-Punkte!“
Ja, wenn das jemand versteht, muss er weitere Kenntnis haben. Wenn man den Anteil der nicht beanstandeten Geräte von 99,8% auf 99,9% erhöht, so ist das zwar tatsächlich nur 0,1%, aber es bedeutet, dass der Anteil der beanstandeten halbiert worden ist, und das ist eine riesige Leistung! Handelt es sich aber um eine Änderung von 88,4 auf 88,5%, so kann es eine statistische Schwankung sein, die keinerlei Wert hat.
Hier ein sehr anschauliches Beispiel dafür, dass die Anschauung uns auch einen Streich spielen kann, wenn es um ganz praktische Erhaltungssätze geht:
Frage:
Gibt es einen Unterschied zwischen den beiden Fällen, bei denen einmal zwei Personen vom Ruderboot gleichzeitig einen Kopfsprung nach hinten machen und und ein andermal die zwei Personen nacheinander abspringen? Ist also in diesen beiden Fällen eine unterschiedliche Geschwindigkeit des am Ende leeren Bootes zu erwarten oder nicht?
Jeder sollte mal sein Gefühl und/oder seine Erwartung notieren, bevor er zu rechnen anfängt (und sollte sich fragen, welche Bedingungen er an seinen Körper stellen müsste, wenn er selber eine dieser Personen wäre…)
Hier meine eigenen Rechnungen dazu:
Rechnung 1:
Eine dicke Person der Masse m macht einen Kopfsprung aus einem ruhenden Boot der Masse m. Da der Gesamtimpuls uverändert Null bleiben muss (Impuls-Erhaltungs-Satz gilt grundsätzlich immer) und beide (Person und Boot) die gleiche Masse haben (also auch das Produkt aus Masse und Betrag der Geschwindigkeit – das ist der Betrag des Impulses! – für beide gleich ist), müssen auch die Geschwindigkeiten v betragsmäßig gleich (und richtungsmäßig entgegengesetzt!) sein.
Wo ist das Problem? Ganz nebenbei ist auch der Energie-Erhaltungs-Satz erfüllt. (m*v²/2)
Rechnung 2:
Eine von zwei dünnen Personen, die jeweils die halbe Masse (m/2) der obigen dicken oder des unveränderten Bootes haben, macht einen Kopfsprung aus dem ruhenden Boot. Da der Gesamtimpuls unverändert Null bleiben muss, hat das Boot nun nur ein Drittel der Geschwindigkeit der dünnen Person (vB = vP/3) , da es die dreifache Masse (samt anderer dünner Person) hat.
Wo ist da ein Problem?
(1) v(B+P) * m(B+P) = vP * mP = 3*v(B+P) * 1/3*m(B+P) = 1/3*vP * 3*mP
Aber jetzt kommt’s:
Wir lassen die zweite dünne Person auch aus dem Boot springen. Sie hat relativ zum nach dem ersten Sprung langsam fahrenden Boot die doppelte Geschwindigkeit wie das Boot nach dem zweiten Sprung relativ zu sich selbst nach dem ersten. Klingt logisch und enfach.
Mal angenommen, Menschen könnten tatsächlich einen bestimmten Impuls p übertragen, unabhängig davon, wie schwer das Boot ist, von dem sie sich abstoßen, was käme dann rechnerisch dabei heraus?
Im neuen Bezugssystem der Geschwindigkeit vP/3
(2) vB * mB = vP * mP = vP/2 * 2*mP
Unter der oben angeführten Annahme, dass in beiden Sprüngen p = vP * mP (bzgl. des jeweiligen Schwerpunktes, der immer im jeweilgen System ruht!) gleich ist (da mP per definitionem gleich ist, ist also auch vP gleich), können wir nun addieren, um in das globale Bezugssystem zurückzukehren:
(3) vB = v(B+P)(1) + vB(2) = vP*mP/m(B+P) + vP*mP/mB = vP(1/3+1/2) = 5/6 vP
Hoppla, das ist 1/6 vP weniger als beim einfachen Sprung mit der doppelten Masse (das heißt, wenn beide dünne Personen gleichzeitig springen würden. Wo ist der Impulssatz geblieben??
Antwort: Die zweite dünne Person hat eine „reale“ (rücktransformierte) Geschwindigkeit von
vP – vP/3 = 2/3 vP
Mit der ersten dünnen Person addiert gibt es
vP*mP + 2/3vP*mP = 5/3vP*mP = 5/6vP*mB
also identischen Impuls mit dem Boot. Alles stimmt.
Beide Impulse sind zwar glücklich wieder gleich, aber kleiner, und auch die Energie ist eindeutig geringer als beim gemeinsamen Sprung (oder beim mechanisch-kinetisch identischen Sprung des Dicken)!
Hoppla: Wo sind Gesamtimpuls und Gesamtenergie geblieben, wenn beide dünne Personen den gleichen Impuls „erzeugt“ haben???
Wir müssen uns offenbar Gedanken darüber machen, wie man einen Impuls „erzeugt“. Dazu brauchen wir die Erkenntnis, dass eine Impulsänderung durch einen „Kraftstoß“ erfolgen kann, also ein Kraft, die eine Zeitspanne wirkt. Das sieht dann mathematisch so aus:
F * dt = m * dv
Man erkennt, dass man diese Gleichung als Differenzengleichung nutzen oder auch integrieren kann (oder muss, wenn F eine Funktion der Zeit ist).
Angenommen, neben der konstant angenommenen Masse ist auch die Kraft über die gesamte Zeit konstant, dann ist nach Newton auch die Beschleunigung konstant:
F = m * dv/dt = m * a = const
Ist die Anfangsgeschwindigkeit Null, so ergibt sicch über die gegebene Zeit dt eine linear wachsende Geschwindigkeit mit einer Endgeschwindigkeit, die doppelt so hoch wie die mittlere ist, woraus leicht ein zurückgelegter Weg berechnet werden kann.
Dieser Weg kommt aber in der Energie vor, die als Kraftwirkung über einen Weg zu formulieren ist (erinnere Dich: die Maßeinheit der mechanischen Energie ist Nm!).
dW = F * ds
Prüfen wir das alles an einem einfachen Beispiel:
Rechnung 3:
Eine Person der Masse m springt der Reihe nach mit dem gleichen Impuls p von zwei Booten der Massen m1=m und m2=2m. Im zweiten Fall hat das Boot die halbe Geschwindigkeit, also eine Hälfte (doppelte Masse, Viertel des Geschwindigkeits-Qudrats) der kinetischen Energie. Der Impuls
pP = pB = F * dt
soll gleich sein, die Energie
WP = 2WB = F * ds
unterscheidet sich um den Faktor 2.
Kann man das nachvollziehen? Wir gehen von einer gleichen Kraftstoß-Zeit dt aus und einer gleichen und konstanten Kraft, um zwei gleiche Impulse zu erzeugen.
Im Fall des leichten Bootes wird die Kraft längs des Weges
ds(leicht) = v*dt/2 = dW(leicht)/F
wirken, im Fall des schweren Bootes aber nur längs des Weges
ds(schwer) = v/2 * dt/2 = dW(schwer)/F = ds(leicht)/2
Das leuchtet unmittelbar ein. Was aber ist mit der Person selbst? Sie hat in beiden Fällen den gleichen Impuls, also auch die gleiche kinetische Energie und somit das gleiche ds(P) = ds(leicht).
Was ist nun aber der Unterschied bei der Erzeugung der Gesamtenergie durch die Beinmuskulatur der Person? Mit dem leichten Boot muss sich die Muskulatur den Weg von zweimal ds strecken, weil sowohl die Person als auch das Boot sich in der Zeit dt gleichweit in entgegengesetzte Richtung entfernen. Im Fall des schweren Bootes streckt sich die Muskulatur nur ds + ds/2, also 75% von 2*ds.
Hier haben wir es also mit der doppelten Additivität der extensiven Größen Weg und Kraft zu tun, die sich auch in den Gesetzen der Integralrechnung wieder finden: Das Weg-Integral der Kraft kann sowohl in Teilwege als auch in Teilkräfte zerlegt werden, ohne dass sich das Ergebnis ändert. Der Person-Weg und der Boot-Weg addieren sich zum Fußsohlen-Weg („Kraft gleich Gegenkraft“ stillschweigend vorausgesetzt).
Am anschaulichsten wird es immer im Extremfall:
Der Kopfsprung von einer Beckenkante führe zum gleichen Impuls, aber die Gesamtenergie liegt dann allein bei der Person, weil das Becken sich nicht rührt. Die Muskulatur streckt sich nur zu 50% im Vergöleich zu zwei gleich schweren Massen (Boot und Person).
Der Kopfsprung gegen ein Blatt Papier führt zwar zum Wegschleudern das Papiers, aber für die Person zu einem Null-Geschwindigkeits-Bauchklatscher.
(Hier ist, für Feinschmecker gesagt, natürlich vernachhlässigt worden, dass im Moment des Endes von dt die Füße noch am Boot sind und selber auch eine Masse haben, also beim Mitgerissenwerden im nächsten Moment den Körper auf die Geschwindigkeit der gesamten Person etwas abbremsen. Es hat wohl noch niemand bemerkt, dass im endgültigen Moment des Absprungs der voranfliegende Kopf wieder etwas verlangsamt wird, weil der die Füße und Unterschenkel mitreißen muss…)
Noch anders klarer wird das Problem in einem weiteren Fall von „Kraftstoß“:
Ich gehe in die halbe Hocke und halte das 60 s. Ist das ein Kraftstoß von
850 N * 60 s = 51 kNs ?
NEIN! Ich habe lediglich eine Gegenkraft der Erdanziehung ausgeglichen und keinerlei mechanische Arbeit geleistet, obwohl die Quadriceps brennen. Biochemische Energie habe ich umgesetzt, aber ein Äquivalent von Impuls ist nicht entstanden. FAZIT: Beim Kraftstoß muss man darauf achten, dass keine weiteren Kräfte (Zwangskräfte z.B.) im Spiel sind.
FAZIT: Die grundsätzliche Ungleichverteilung der Energie beim elastischen Stoß erscheint hier verwirrend, ist aber mathematisch die Voraussetzung für die Lösungsmöglichkeit des elastischen Stoßes (siehe Billard).
Die Verknüpfung von Mathematik und Physik zeigt sich wohl am klarsten in der folgenden Umstellung:
dWkin = F * ds = m*dv/dt * ds = m*v*dv, integriert 1/2*m*v² = Wkin
Hausaufgabe 1: Es steht jedem frei, mit Zahlenbeispielen die obigen Rechnungen zu illustrieren, zum Beispiel mit 50 kg und 100 kg für die Personen und 100 kg und 200 kg für die Boote oder … oder …. und 0,2 s für dt und 100 Ns = 100 kg*m/s für p … oder… (Beinlänge = ??)
Hausaufgabe 2: Man kann auch den umgekehrten Gedankengang gehen, indem man nicht den Impuls beim Kopfsprung, sondern die hineingesteckte Energie konstant lässt und sich dann über die unterschiedlich erzeugte Impuls-Betrag-Summe wundert.
Viel Spaß!
Eine Analogie des Wunderns in Hausaufgabe 2 liegt in folgendem (Gedanken-) Experiment:
Ein gedacht reibungsfrei fahrendes Verkehrsmittel (Schlitten, Fahrrad, Auto) fährt eine gegebene Rampe herab (hinauf), wobei die Startgeschwindigkeit variiert wird. In jedem Falle wird eine Geschwindigkeits-unabhängige potentielle Energie addiert (subtrahiert), die aber zu unterschielichen Geschwindigkeits-Differenzen führt. Warum? Die für die Impuls-Änderung zur Verfügung stehende Zeit ist unterschiedlich, die Hangabtriebskraft aber Geschwindigkeits-unabhängig: dp = m*dv = F*dt. (ausführlich in: Energie-Satz)
Und tschüs!
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