Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


Keimbildung

(zuletzt geändert: 05.05.2018)

Viele Strukturen beginnen ihr Werden mit sogenannten „Keimen“. Unter Keim versteht man dabei ein kleinstmögliches Objekt mit den Eigenschaften der späteren Elemente der Struktur.

Aus der Thermodynamik kennen wir die Zusammenhänge zwischen zum Beispiel der Partialdruck des Wasserdampfes und der „kritischen“ Keimgröße eines Wassertröpfchens. (Hier muss man zwischen der „homogenen“ Keimbildung und der „heterogenen“ unterscheiden. Letztere bietet fremde Objekte an, um die „kritische“ Größe zu erreichen, z.B. Staubpartikel in der Luft zur Nebelbildung.) Man findet in diesem kritischen Keim diejenige Größe, bei der die Wahrscheinlichkeit seiner Bildung (durch zufällige Akkumulation) gleich derer des Zerfalls (durch übermäßige Verdampfung wegen des radiusabhängigen Innendrucks) ist. Größere haben Überlebenschancen und verbessern diese ständig durch weiteres Wachstum, kleinere zerfallen schnell und „existieren“ also im Sinne eines dauerhaften Seins nicht und tragen zur Struktur-Bildung nicht bei.

Nun kommt niemand auf die Idee, einem Regenschauer „Struktur“ zuzuordnen, wenn man nicht die Existenz eines mittleren Abstands unter den Tropfen als solche akzeptiert. Aber es ist legitim, einige Gedankenexperimente als Vorstufe zur Struktur anzustellen, wenn man kondensierte Tropfen an einer Frischhaltefolie über Speisen des Vortags sieht:

Tropfen unter der Folie mit ähnlicher Größe und ähnlichem Abstand

Gibt es eine Maximalgröße? Ja, die Übergrößen fallen runter, weil ihre Masse mit der dritten Potenz des Radius wächst, ihre Haftkraft aber nur mit der zweiten.

Gibt es einen optimalen Abstand? Ja, die dichten koagulieren und fallen ab, zwischen den fernen ist Platz für neue – hoppla, jetzt kommt schon ein Prozess in den Gedankengang. Entstehen die Großen aus koagulierten Kleinen oder bilden sich Kleine neben Großen gar nicht mehr? Das führt beim Thema „Keim“ zu weit.

Aber ein anderer Gedanke hilft zum Verständnis der anderen Seiten hier:

Die meisten Prozesse der Strukturbildung kann man also in zwei Haupt-Phasen unterteilen:

Die Regeln oder Gesetze des systematischen Wachstums sortieren die Stochastik der Keimbildung dann unter Umständen um und führen zu den uns interessierenden „Strukturen“.

Drei Beobachtungen aus meiner Kindheit noch zu den Tropfen:

  1. Vorm Fenster meiner Großeltern in Merseburg haben nicht nur Bäume im Wind gewackelt, sondern sind auch hängende Regen-Wasser-Tropfen an der Telegrafenleitung von rechts und links zum tiefsten Punkt der Leitung „geflossen“ und haben sich dort getroffen. Es bildete sich ein Riesentropfen, der ab und zu runterfallen musste, weil er zu dick wurde. Dabei wurden kleine Tropfen oft von großen eingeholt und fielen leider schon vorzeitig ab.
  2. Aus dem Fenster des vierten Stocks unserer Wohnung in Halle konnte man Tropfen aus der defekten Dachrinne dicht am Kopf vorbei nach unten fallen sehen, die dem nachfallenden Tropfen Windschatten boten, so dass dieser in einer schraubenlinienförmigen Schlänggellinie (in dieser „Projektion“ des Blicks parallel zum Fallen leicht zu beobachten) zum Vordertropfen aufschloss, sich beide vereinigten (und instabil wurden, würde ich heute sagen) und dann „platzend“ auseinanderspritzten in viele kleine.
  3. Die Feuchtigkeit aus der Atemluft kondensierte in frühen klaten Morgenstunden am etwas durchhängenden Zeltdach beim Mecklenburg-Urlaub, und es war spannend zu versuchen vorauszusehen, welcher Tropfen wann auf meine Nase fallen könnte.

 

 

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