Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


2.4.1.1.1 Unbestimmtes statisches System elastisch bestimmen

Bleiben wir beim Balken:

Kann man die Kräfte an einem mehr als zweifach befestigten Balken eindeutig bestimmen?

In der einfachen Statik wird das verneint, weil die Anzahl der Variablen („Unbekannten“) nicht mit der Anzahl der Gleichungen übereinstimmt. Diese „einfache Statik“ geht aber von idealisierten Voraussetzungen aus, die physikalisch nicht zutreffend sind, dafür aber die Rechnung nach den Axiomen der Statik vereinfachen: Starrer Stab und starre Befestigungen. In Wirklichkeit sind alle Bauelemente (z.B. Stäbe, Platten, Seile, Befestigungen) elastisch und also Verformungen unterlegen, die sich gedämpft „einschwingen“, bis ein Gleichgewicht (oder eben auch ein Bruch) erreicht ist.

Dieses „Einschwingen“ legt eine zeitabhängige numerische Integration nahe, um den GG-Zustand zu ermitteln. (Vgl. Federketten und Federflächen!)

Beginnen wir mit einem sehr einfachen Fall, den man auch in der „reinen Statik“ lösen kann, um das Vorgehen zu prüfen:

Ein starrer und masseloser Stab sei an zwei Punkten 1 und 2 befestigt, außerhalb derer eine Last am Ende bei l angehängt ist.

Schematische Darstellung der Situation: rechts die Last am Stab, links die beiden Befestigungen (prinzipiell mit Freiheitsgrad der Rotation)

Die beiden Befestigungspunkte 1 (x=0) und 2 (x=l12) am Stab der Länge l (x=l) müssen in summa die Schwerkraft der Last auffangen (F1 + F2 = Fs) und jeder für sich drehmomentfrei sein (in 2 [links der Mitte]: Fs*l2s=F1*l12; in 1 [links am Ende]: Fs*l=F2*l12), weil sie hier keine Biegemomente aufnehmen können sollen (wie es andernfalls Einspannungen ja könnten). Damit ergibt sich unter Berücksichtigung der Richtung

F1 = Fs*l2s/l12

F2 = -Fs*l/l12

Fs = -(F1 + F2) = Fs*(-l2s+l)/l12

Diese Gleichung ist wegen l = l12+l2s erfüllt.

Bringt man nun eine dritte Befestigung ins Spiel, so wird es nicht mehr auflösbar:

Drei drehbare Befestigungen sollen die (hier außerhalb angreifende) Last unter sich aufteilen. Da hilft nur, dass man sich entweder die Befestigungen oder den Balken elastisch vorstellt und damit die Befestigungen untereinander über eine entweder veränderte Lage des starren Balkens oder über Biegemomente des elastischen Balkens koppelt. Diese Zusatzbedingungen ermöglichen eine eindeutige Lösung, selbst wenn die Federkonstanten der Befestigungen unterschiedlich sein sollten.

Die Ermittlung der Lösung, die sich über Differentialgleichungen darstellen lässt, kann iterativ erfolgen, indem man sich zum Beispiel ein kleines Programm schreibt, in welchem abwechselnd die Drehmomente durch Kippung des Balkens verringert und die Gesamtkraft durch Parallelverschiebung des Balkens verringert werden, bis eine Toleranzgrenze erreicht ist (Abbruchbedingung der algorithmischen Schleife).  Dann können alle Federlängen und die entstandene Neigung des Balkens angegeben werden, beispielhaft so (Basiswerte und Start mit hypothetischer Gleichverteilung der Kraft bei waagerechtem Stab sowie die ermittelten Werte für die Stab-Position nach Abbruch der Iteration (hier sind alle Federkonstanten gleich gesetzt):

Es ist also tatsächlich möglich, mit relativ geringem Aufwand eine Näherungslösung zu finden, wenn das statische Problem „unbestimmt“ oder „überbestimmt“ ist, wie es für viele praktische Tragwerke zutrifft. Die „elastische Lösung“ muss allerdings noch hinsichtlich ihrer Stabilität gegen einzelne zufällige Ausfälle und gegen konstruktiv bedingte Überlastungen einzelner Knoten untersucht werden, um eventuell die Geometrie zu korrigieren (siehe Einstürze diverser Hallendächer bei Schneelast z.B.!).

Dieses Prinzip kann also im Grunde auf beliebig komplexe Stabwerke angewendet werden, erst recht, wenn sie schon digitalisiert entworfen worden sind und alle geometrischen Daten als Variable vorliegen. Noch eleganter wird es, wenn die Stäbe selbst ebenfalls elastisch sind.

Selbst mit Festkörpern lässt sich das realisieren, wenn man sie in finite Elemente zerlegt.

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