4.4.3 Struktur der Sprache: Satzbau
Was macht man mit den Struktur-Elementen einer Sprache?
Man baut aus den Elementen „Sätze“.
Man baut aus Sätzen Satz-Gruppen (Absätze).
Je nach Sprachfamilie und Sprache gibt es dafür unterschiedliche Regeln.
Und noch ein Schmäckerchen:
Es gibt die schriftliche und die mündliche Sprache. Sie unterscheiden sich schon deshalb, weil man bei der mündlichen mehr Freiheitsgrade hat, besonders mit Hilfe von Betonung und Kunstpause.
Am besten erläutert man den Unterschied an schlechten Beispielen. Wer der Grammatik nicht mächtig ist, muss in der Schriftsprache mit grafischen Mitteln nachhelfen, wie unterstrichenen, fetten oder kursiven Wörtern. Das geschieht am leichtesten bei unklaren Bezügen. Auch berühmte Schriftsteller wie Fontae benutzen diese Oberflächlichkeit, sollte man den heutigen Herausgebern ihrer Schriften trauen dürfen.
Noch ärger ist es, wenn eine mündlich gedachte Rede aufgeschrieben wird, wie wir es bei Schriftstellern beobachten, die gern zu Lesungen fahren. Schon beim Schreiben hören sie sich offensichtlich vorlesen und passen die Interpunktion dieser Vorstellung an: Sätze (d.h. geschlossene Gedanken) werden durch Punkte zerrissen, Gedankengruppen (Absätze) werden mittendrin zerrissen (Achtung herhören, ich mache eine Kunstpause, um Eure Aufmerksamkeit zu steigern!). Und am allerschlimmsten: Die Möglichkeit der deutschen Sprache, Klammern zu öffnen (Verben mit Vorsilben zu trennen, um zwischen beide Teile eine Ergänzung zu schieben, Verben nachzustellen, Verneinungen nachzustellen), wird beiseite geschoben, um das, was mit Spannung eigentlich erst am Ende geklärt wird, schnell schon am Anfang an den Mann zu bringen.
Beispiele sind schnell erfunden:
Ich liebe Dich, Du überaus hübsche und intelligente Frau, die mir täglich das Bier an den Fußball-Fernseher bringt und mich über alle Maßen zu verwöhnen gewillt ist, nicht mehr.
Na gut, das war zu einfach. Ich liebe Dich nicht mehr, Du…. versaut jegliche Aufmerksamkeit für die folgenden Komplimente!
Anderes Beispiel:
Er setzte sich, ohne auf den Stuhl, den er erst gestern, als er noch gesund war, gekauft hatte, zu achten, hin.
Hier hat es jemand mit den Klammern übertrieben, denn sie sind mehrfach geschachtelt, und deshalb verliert man den Überblick:
Er setzte sich (, ohne auf den Stuhl (,den er erst gestern (, als er noch gesund war,) gekauft hatte,) zu achten,) hin.
Man kann es vollständig entklammern, indem alles nachgestellt wird:
Er setzte sich hin, ohne auf den Stuhl zu achten, den er gestern gekauft hatte, als er noch gesund war.
Und diesen neuen Satz kann man jetzt vergewaltigen, indem man ihn zur Absatz-Trennung nutzt:
Er warf den Hut auf die Ablage und ließ die Jacke einfach fallen. Er setzte sich hin, ohne auf den Stuhl zu achten, den er gestern gekauft hatte.
Als er noch gesund war. Das war in einer völlig anderen Welt! In der neuen Welt aber war er viel zu hart für seinen Hintern.
Man versteht, wer das „er“ im letzten Satz ist (nämlich der Stuhl), obwohl es sich auf einen anderen Absatz bezieht. Grammatisch bezieht sich das „er“ allerdings zunächst auf das Subjekt, das noch gesund war. Dieses Subjekt könnte zu hart zu seinen Mitarbeitern sein, aber für seinen eigenen Hintern?
Hier läuft also wieder ein Erwartungsbaum mit, den wir schon in anderen Zusammenhängen (insbesondere in der Musik) erkannt und bewundert haben. Dieser Erwartungsbaum ist wie ein Kontext, der eine Synchronisierung zwischen Sender und Empfänger ermöglicht oder verhindert, indem ein Erkenntnisprozess ständig mitläuft, der in die Entscheidungsfrage mündet: Will ich ihm weiterhin folgen oder nicht?
Allerdings:
Beim Schriftlichen haben wir die Chance, die Informationsaufnahme zu steuern, indem wir verweilen, wiederholen oder gar überspringen (wie bei der Betrachtung eines Bildes, nur dass wir dort noch viel mehr geometrische Variationsmöglichkeiten haben als bei dem „eindimensionalen“ Schriftsatz, das Bild hat also viel eher eine „zweite Chance“ auf den „zweiten Blick“ bei uns). Diese Chance als Schriftsteller zu nutzen, um den Zwängen der mündlichen Rede zu entkommen, setzt voraus, dass ihm (dem Schriftsteller) diese Unterschiede überhaupt geläufig sind.
(Am schlimmsten sind die Journalisten. Einfach einmal eine beliebige Zeitung lesen!)
Das alles wissend, können wir nun also die Leistung von Übersetzern, die anders strukturierte Sprachen ins Deutsche übertragen, ohne dass wir merken, dass die Sätze übertragen worden sind, besonders würdigen.
(Am schlimmsten sind die formalen Schlagwort- und Floskel-Übertragungen aus dem Amerikanischen, die sich dann als „Fachbegriffe“ einbürgern, sogar dann, wenn die Flexion eine andere ist.)
Aber auch in der deutschen Amtssprache gibt es genügend Beispiele:
Friedhofs-Verwaltung: „Für nicht verrottbare Abfälle“. Ich verrotte Dich!!
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