Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


3. Strukturen im Tier- und Pflanzenleben

Die einfachste „Struktur“ ist wohl die Existenz einer Spiegelebene. Wir sind jedenfalls daran gewöhnt, dass es bei allen höheren Tieren ein „Rechts“ und ein „Links“ gibt.

Woher kommt dieser Einfall der Evolution?

Nun, das kann wohl nicht anders sein, wenn ein Tier sich vom Boden erheben will, um sich fortzubewegen, denn dann muss es oben und unten geben (es erhebt sich nach oben), vorn und hinten (es bewegt sich nach vorn). Und schon gibt es rechts und links, denn dieses Begriffs-Paar ist nicht absolut, sondern wie die beiden anderen Begriffs-Paare auch: relativ.

Als Entwicklungsschritt bedeutet das, dass aus einem rotationssymmetrischen (drehrunden) Organismus (viele Würmer zum Beispiel, genau wie die Bäume in höherem Alter!) ein spiegelsymmetrischer wurde, weil sich oben (ohne Beine) von unten (mit Beinen) unterscheiden soll. Die meisten Organe sind nun paarig angelegt, die unpaarigen aber auch oft spiegelsymmetrisch zusammengesetzt. Auch das Herz könnte spiegelsymmetrisch sein, wenn die Kammern hintereinander lägen statt nebeneinander.

Aber ist diese Rotationssymmterie der Würmer das allgemeinst Denkbare? Schon diese kann man in zwei Gruppen teilen: „Längliche“ Wesen wie manche Würmer und „flache“ Wesen wie Quallen zum Beispiel. Die länglichen nehmen keine Rücksicht auf die Schwerkraft, sie kennen nur „vorn“ und „hinten“, die Seite ist ihnen „egal“ (Regenwürmer weichen einem Stein „zur Seite“ aus, ohne diese „Seite“ benennen zu müssen.). Die flachen kennen nur „oben“ und „unten“, die Seite ist ihnen egal. (Quallen lassen sich treiben, egal zu welcher „Seite“, und bewegen sich nur nach oben oder unten.)

Aber es gibt auch etwas, das überhaupt keine Richtung kennt: Corona-Viren zum Beispiel. Die sind eben einfach kugelrund. Schwerkraft oder Bewegungsrichtung kommen nicht vor, sie lagern sich in beliebiger Richtung an Zellen an, sie kennen nur „innen“ und „außen“ von sich selbst und von anderen. Ihre äußere Struktur muss also kugelförmig sein.

Die zylindersymmetrischen (Würmer oder Quallen oder große Bäume (jedenfalls weit nach der Keimblattphase)) haben also schon eine einzige Vorzugsrichtung. Sowie die zweite Vorzugsrichtung hinzukommt, ist Spiegelsymmetrie unausweichlich: Gliederfüßer (Spinnen, Krebse, Insekten, …), Fische, Vögel, Säugetiere! (Und erst hier bekommen „links“ und „rechts“ einen Sinn!)

(Überhaupt ist der neuerdings aufrechte Gang des Menschen erschwerend für diese Abhandlung. Also kriechen wir mal zur Vereinfachung!)

„Oben“ und „unten“ scheinen uns durch die Schwerkraftrichtung vorgegeben, „vorn“ und „hinten“ durch unseren Willen oder unseren Körperbau, und „rechts“ und „links“ scheinen so zwangsläufig daraus zu folgen, dass wir bei einer einfachen geometrischen Frage gern scheitern: Ist es wahr, dass der Spiegel rechts und links vertauscht?

Schnake in meinem Spiegel

„Na klar, wenn ich meine rechte Hand vorm Spiegel hebe, hebt der Mensch im Spiegel seine linke! Und Auto-Kennzeichen kann ich im Rückspiegel auch nur in Spiegelschrift erkennen!“

Okay. Dann drehen wir den Spiegel um 90°, vertauscht er dann oben und unten statt rechts und links? Natürlich nicht, das mit den Händen bleibt.

Okay. Dann lege ich mich vor den Spiegel, vertauscht er nun Kopf und Füße? Natürlich nicht. Aber was ist nun „rechts“ und „links“? Ist es nicht raumbezogen, sondern nur körperbezogen?

Es ist – bezogen auf den Spiegel – „nur“ psychologisch, denn wir versetzen und in Gedanken HINTER den Spiegel und vergleichen die gedachte Person hinter dem Spiegel mit dem Spiegelbild. Wir würden uns also auch hinter den Spiegel legen, und zwar mit dem Gesicht zum Spiegel, so wie wir uns auch in Gedanken hinter den Spiegel mit dem Gesicht zum Spiegel stellen. In jedem Fall machen wir eine Drehbewegung um unsere Längsachse (das ist erstens die mit der geringsten Änderung für die Optik und die Psyche, und zweitens die mit dem kleinsten Trägheitsmoment für die Physik), und genau das vertauscht in ursprünglicher Blickrichtung nur rechts und links und nicht oben und unten.

Macht der Spiegel nun gar nichts? Doch, er spiegelt. Und diese eine Operation ist durch zwei andere zu ersetzen: Drehung plus Spiegelung an einer Ebene, die senkrecht zur ersten Spiegelebene steht und die Drehachse (unsere psychisch bevorzugte Körperlängsachse) enthält.

Mit der menschlichen Psyche müssen wir uns offenbar also noch weiter unten beschäftigen. Die Evolution hat ihr eine Struktur mitgegeben, die spannende Fragen aufwirft.

Hier aber bleiben wir „noch“ bei den Pflanzen und Tieren:

Der letzte Punkt ist wohl der spannendste, denn er enthält trotz der Gänsefüßchen den kompletten Kultur-Begriff: Trieb-Erfüllungs-Verzicht des Einzelnen zugunsten der Gemeinschaft: „Du sollst nicht…“ Und er enthält die damit notwendig verbundene Existenz von strukturierten Kommunikations-Elementen: einen „Zeichen“-Satz.

Machen wir uns also ganz vorsichtig und behutsam auf die Suche nach unwiderlegbaren Schlussfolgerungen!

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