2.6 Mischung von flächigen und räumlichen Effekten: Falten
Frage:
Ist ein Faltenwurf Zufall oder Gesetz?
Eine besondere Ästhetik „verströmen“ die ebenen Gebilde, wenn sie um „nicht abwickelbare“ Flächen gelegt werden, worauf sie Falten werfen. Man kennt das aus der Malerei: Brokatkleider oder Seidenblusen werden zu eigenen Stilleben inmitten einer szenischen Darstellung.
Was passiert da wirklich?
Will man ein ebenes zweidimensionales Gebilde um einen dreidimensionalen Körper „wickeln“, so geht das ohne Doppelbelegung oder ohne Fehlbelegung (Reißen) nur dann, wenn man um eine bestimmte Achse (also zylindrisch) wickeln oder eben scharfkantig entlang einer Geraden „falten“ kann (ist ja nichts anderes als ein superdünner Zylinder!).
Die Richtung dieser Achse oder Geraden darf sich dabei ändern. Ohne Änderung der Richtung und ohne Änderung der Krümmung entsteht ein Zylindermantel. Mit Richtungsänderung entsteht im einfachsten Fall ein Kegelmantel oder im zusammengesetzten Fall z.B. ein Oloid (dieser hat außer Mantel weiter nichts!). Körper mit Oberflächen, die „abwickelbare Flächen“ sind, erkennt man an den „Netzen“ (auf Papier übertragbare Gebilde, aus denen man den Körper falten oder biegen und mit Klebefalzen stabilisieren kann), deren Teile überall mehr als nur einen Berührungspunkt haben (der komplette Zylinder samt Deck- und Bodenfläche ist dann NICHT abwickelbar, denn die beiden Kreise hängen nur in je einem Punkt am Mantelflächen-Rechteck des Netzes – das gilt auch für den kompletten Kegel).
Andersherum formuliert:
„Gewölbte“ Flächen, die also in mehreren Richtungen gekrümmt sind, sind grundsätzlich NICHT abwickelbar.
Diese Erfahrung haben unsere Vorfahren, die Sammler und Jäger, schon gemacht, als sie sich in Bärenfelle wickeln wollten (schneiderisch „einwickeln“ statt mathematisch „abwickeln“): Am einfachsten sind ebene und zylindrische Bestandteile der Kleidung herzustellen, die man dann zusammennähen kann. Kegelanteile für die entsprechenden Körperteile erhält man dann durch „Abnäher“, Übergangsstellen werden mit „Zwickeln“ verbunden.
(Später konnte man beim Filzen dann auch gewölbte Flächen mit viel Mühe herstellen. Interessanterweise sind Tiere ja auch gewölbt, besonders die Bären und Wildschweine, aber ihre Felle hat man erst plan gezogen und dann wieder gewickelt – warum nicht den ursprünglich tierischen Wölbungen entsprechende Wölbungen beim Menschen damit umspannen?? Aber das widerspricht dem Verallgemeinerungsdrang denkender Wesen, für jeden den „passenden“ Bären erlegen zu müssen! Außerdem war damals legere Kleidung „Mode“… Das Treiben von Gold und Kupfer führte dann – etwas später – zu noch besseren Wölbungen, bevor das Schmieden des Stahls begann. Gepresste oder gar 3D-gedruckte Kunststoffe stehen heute auf einem ganz anderen Blatt.)
Superpositionsprinzip:
Ganz grob gesagt könnte man im Umkehrschluss also auch jeden Faltenwurf aus Zylindermänteln und Kegelmänteln zusammengesetzt denken.
Gut. Wir haben also durch einfaches Nachdenken („first principles“) erkannt, dass Falten entstehen müssen, wenn wir ein ebenes Gebilde („Tischdecke“) um einen Zylinder („runder Tisch“) wickeln wollen („Tischdecke auflegen“). Aber wo genau entstehen diese Falten? Das können wir nicht sagen, das ist entweder „Zufall“ oder winzigen „natürlichen“ Unebenheiten geschuldet. Aber den Struktur-Fanatiker interessiert ja nicht der konkrete Ort der Falte, sondern die Struktur, der Rhythmus, hier also die Wellenlänge der Falte (absolut oder im Verhältnis zum Durchmesser, was auf eine konkrete Anzahl hinausliefe).
Spannend wäre also eine Modellierung mit all den Parametern, die zur Falten-Struktur beitragen können. (Im Informatik-Studium eines meiner Söhne gab es solch eine Aufgabe!)
Im Unterschied zu den Federflächen (dort waren nur lineare Federn zwischen den Massepunkten angebracht und eine lokale Faltung nur möglich, wenn die
Federlänge so groß gewählt wird, dass die Einspannung des Randes dafür zu klein ist) müsste man hier eine elastische Biegesteifigkeit in jedem Massepunkt (als Kreuzungspunkt zwischen zwei Nachbar-Paaren) einführen:
- eine Auslenkung aus dem Mittelwert dieser vier Nachbarn je Koordinate erzeugt eine rücktreibende Kraft, die ihrerseits zu einer gedämpften Bewegung führen soll
- „Ruhe“ würde im schwerelosen Fall also nur eintreten im speziellen ebenen Fall und im Falle eines Sattelpunkts
- „Ruhe“ kann im Schwerefeld auch dann eintreten, wenn die elastische Kraft durch die Schwerkraft aufgehoben wird
- die „Ruhe“-Verteilung wäre dann das gesetzmäßige Gleichgewicht, das je nach geometrischer Vorgabe noch Freiheitsgrade haben kann, die dann durch „Fluktuationen“ (rechentechnisch durch Zufallszahlen) aufgehoben werden würden
Das ist ein guter Plan, den man schrittweise durchführen sollte.
Schritt 1:
Test, ob sich eine an den Rändern eingespannte gewölbte Fläche auch durch elastische Feder-Kreuz-Gelenke (statt durch lineare Längs-Federn) glattziehen kann (dargestellt in zwei verschiedenen Blickwinkeln):
Interessant, dass die Fläche tatsächlich nicht eben wird, sondern die lokale Gesamtkrümmung auf Null fährt, wo es geht. (Das Ganze schwingt natürlich artefaktisch auf, wenn man den Zeittakt zu groß wählt!) Im vierten Bild (rechts unten also) ist die Andeutung einer Falte schon wunderbar zu erkennen! (Man muss sich vorstellen, dass man von schräg links oben auf eine nach rechts und vorn abwärts gewölbte Fläche sieht, in der sich eine Falte von links hinten nah rechts vorn bildet.) Damit „wehrt“ sich das eben sein wollende gebogene flächige Gebilde gegen die um gleichzeitig zwei Achsen erzwungene Biegung! (Mit der zeitabhängigen Programmierung als numerische Integration der Bewegungsgleichung haben wir wieder einmal die Lösung der komplizierten Variationsaufgabe für die Ermittlung des Spannungsenergieminimums umschifft!)
Gut, bevor wir (ich sage immer „wir“, dabei bin ich allein und alles ist live, weiß noch gar nicht, ob’s klappt…) uns wieder ans Programmieren machen, sollten wir überlegen, was aus der kargen mathematisch-geometrischen und aus der sympathischen physikalischen Sicht zu erwarten ist. Dazu nehmen wir uns das einfachste Beispiel der Faltenbildung, nämlich die über einen runden Tisch hängende Tischdecke: Da im Kreis der Umfang proportional zum Radius wächst, ist beim Übergang vom Zylinderboden (Tischplatte) zum Zylindermantel (hängende Tischdecke ohne Falten wäre entsprechend passgenau geschneidert) proportional zum Abstand von der Tischkante „zu viel Stoff“ vorhanden, der also Falten schlagen „muss“.
- mathematisch: Aus dem Ähnlichkeits-Satz sollte man schließen, dass erstens zwei Sinuslinien gleichen Verhältnisses von Amplitude und Wellenlänge auch ein gleiches Verhältnis von Kurvenlänge und Wellenlänge aufweisen und dass es deshalb zweitens keinen mathematischen „Grund“ für eine bestimmte Wellenlänge (und damit also für eine bestimmte Faltenzahl) gibt und es deshalb aus mathematischer Sicht wahrscheinlich ist, dass die Zahl der Schwingungen von kurz nach der Tischkante an nach unten gleich bleibt, aber ihre Amplitude von Null an (nach einem komplizierten Gesetz) wächst.
- physikalisch: Da die elastische Energie von der absoluten Krümmung abhängig ist und ein gleicher Längenzuwachs durch unterschiedliche Wellenlängen (und den damit verbundenen Amplituden) erreichbar ist, wird die Variante mit der geringsten Energie „ausgewählt“ werden. Das bedeutet eine Minimierung der Falten-Anzahl! Dass sie am Ende größer als 1 sein wird, liegt daran, dass erstens neben der Krümmung der Falte selbst noch die des Tischrandes eine Rolle für die Energie spielt, und da eine Faltenzahl 1 einem „elliptischen Kegel“ entspräche, würde zweitens die Schwerkraft gegen eine damit verbundene zu große Auslenkung von der Zylinderform wirken und genau im Maximum der Falte eine neue bilden. In einem Modell sollte man also in Abhängigkeit von Flächendichte (oder Erdbeschleunigung) und Steifigkeit unterschiedliche Faltenzahlen erzeugen können! Oder ist da ein Denkfehler?
Schritt 2:
Wendet man das Ganze auf ein Netz quadratischer Zellen mit Massepunkten an den Ecken und Zugfedern in den Seiten an, das im Inneren kreisförmig von der Schwerkraft ausgeschlossen wird (Tischdecke auf rundem Tisch), so kann man dynamisch den Gleichgewichtszustand „suchen lassen“.
Ergebnis:
- Die Zipfel der quadratischen Decke werden sehr lang (huch!?), aber sind wenigstens gefaltet, wenn die Biegesteifigkeit der Decke gering gehalten wird.
- Die Zahl der Falten hängt reziprok von der Biegesteifigkeit (K1) ab. Das lässt sich am schönsten bei numerischen Artefakten des Überschwingens zeigen:
Schlussforgerung:
Die Zugfedern in den Quadratseiten garantieren zwar im Mittel einen Rhombus, aber eben kein Quadrat. Es müssen also noch Diagonalen-Federn eingeführt werden. ABER: Diese können gegen die Steifigkeit arbeiten und müssen deshalb variabel (Bedienoberfläche) bleiben.
Schritt 3:
Jetzt gibt es nach dem Verringern der Steifigkeit schöne Falten ohne stark verlängerte Zipfel, wobei die Zipfel nicht exakt „nach unten“ hängen wegen der Diagonalen-Kraft:
Bei hoher Steifigkeit entstehen „statt der Falten“ weggebogene Zipfel, was sozusagen einer Mindestfaltenzahl gleichkommt, wie man beim Drehen in die Draufsicht bei zwei verschiedenen Einstellungen leicht erkennen kann:
Ein Problem bleibt noch die Tischkante: Wenn die Zellen nicht darüber hinwegrutschen dürfen, ist sie der neuralgische Punkt, wo es am ehesten zum numerischen Aufschwingen kommen kann:
Bei (2n+1) * pi/4 schwingen die Zellen an der Tischkante als erste auf, weil dort durch die Überlagerung von Kreis und quadratischem Gitter die Diagonalen am meisten gedehnt sind. (Dunkle Stellen zeigen wegen des Überschreibens von 50 Integrations-Schleifen (rechts oben einstellbar) die stärksten Bewegung an, und einzelne Punkte sind schon auf der „Flucht“ aus der Darstellung…)
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