2.2 Stehende Wasserwellen und reißende Häutchen
Frage:
Kann man die bekannten Muster stehender Wellen ohne Kenntnis der Wellengleichung grafisch nachbilden, ohne ein dynamisches Modell zu entwerfen?
Jetzt sollen hier „stehende“ Wellen behandelt werden, bevor die Wellen (also die sich bewegenden „normalen“) als solche „dran“ gewesen sind?
Was ist eine Welle? Das ist eine periodische Struktur, sie sich mit der Zeit im Raum bewegt, ohne dass sich ihre Träger in gleicher Form bewegen: Diese schwingen (auch in mehreren Dimensionen) „auf der Stelle“ (also um ihr stabiles Zentrum) . (Siehe auch ausführlicher unter 2.10.1.1!)
Solche Wellen können „eben“ sein (nur von einer Raumrichtung abhängig), „zylindrisch“ (von zwei) oder „sphärisch“ (von drei). Ihre Träger können sich in Ausbreitungsrichtung der Welle (longitudinal) oder quer dazu (transversal) bewegen oder sogar in beiden zusammen (z.B. in Oberflächenwellen des Wassers).
Es gibt auch Wellen ohne massebehaftete mechanische Elemente: die des elektromagnetischen oder des Gravitationsfeldes. Behandeln wir hier jetzt nicht.
Den vorher erwähnten Wellen war gemein, dass sie in jedem Punkt eine bestimmte Ausbreitungsrichtung haben. Die in dieser Richtung benachbarten „Schwinger“ sind also minimal phasenverschoben, so dass das Maximum im Zeitverlauf wandert (sonst wäre es ja keine Welle, logo). Wollen wir alles mit Sinus- oder Cosinus-Funktionen beschreiben (zu deren drei Parametern: Amplitude, Frequenz, Phase kommt jetzt die Ausbreitungsgeschwindigkeit oder die Wellenlänge hinzu – beide bedingen sich mit der Frequenz wechselseitig), so wäre, ohne Energieverlust, bei einer ebenen Welle die Amplitude konstant, bei den anderen wäre diese mit der Zeit „nach außen“ abnehmend, weil sich die Energie auf einen größeren Raum verteilt. Die Zeit wäre dann auch aus einem zweiten Grund nicht „umkehrbar“, die Beschreibung der Welle also doppelt nicht „zeitinvariant“.
Überlagert man zwei ebene (oder eindimensionale) Wellen gleicher Frequenz und Amplitude, aber entgegengesetzter Richtung, so entsteht eine so genannte „stehende“ Welle mit ortsfesten „Bäuchen“ und „Knoten“. Diese Überlagerung („Interferenz“) geschieht am einfachsten durch Reflexion. Man kann das experimentell an einem schweren Tau demonstrieren, das man an einem Ring in der Wand besfestigt und am anderen Ende in einer passenden Frequenz auf- und abbewegt („festes Ende“ ist Knoten) oder aber einen leichten Faden zwischen Wand und Tau schaltet („loses Ende“ ist Bauch). Je nach Zug-Kraft am Seil ergibt sich eine bestimmte Wanderungsgeschwindigkeit der Welle, zu der bestimmte Erregungsfrequenzen passen. Mit etwas Übung bekommt man die stehende Welle hin (Kinder probieren das gern erfolgreich mit Absperrketten in Parks.).
Schöne Bilder ergeben sich mit Wasserwellen an Betonmauern wie in Hafenbecken, an Molen u.a.m. (Am Beckenrand im Wellenbad!) Man beobachtet dann die manchmal „Kabbelwellen“ genannten stehenden Muster von Nachbar-Bäuchen (lineare, wenn nur eine reflektierende Mauer; punktförmige in gekreuztem Muster, wenn von zwei unter einem Winkel angeordneten Mauern reflekierte), die im Gegentakt auf- und niederschwingen. Für kleine Schiffchen ist es schier unberechenbar, solche Wellen gezielt zu kreuzen.
Es sind „Strukturen“ entstanden, deren Ursache auf den ersten Blick nicht trivial ist, die aber als sehr „schön“ und einfach aussehend empfunden werden.
Die schönste Interferenzstruktur, die ich je gesehen habe, stammte von einem kleinen Spannerchen, das auf einem Stausee in der Dresdner Heide lag und mit konstanter hoher Frequenz seine vier Flügel bewegte. Statt ihn zu fotografieren habe ich ihm einen Stock zum Herausklettern gereicht.
Wenn man verstanden hat, was dort vor sich ging, müsste man es modellieren können, oder?
Ich habe das mal programmiert für zwei und für vier Quellen (trapezförmig angeordnet wie die Flügel-Schwerpunkte eines Schmetterlings).
Es ergeben sich wirklich schöne Muster, nur dass sie im echten Wasser (offenbar durch die Wellenhöhenabhängigkeit der Wellengeschwindigkeit? modellieren!) etwas von der Symmetrieachse des Spanners weg gebogen und außerdem eigentümlich gefleckt waren. Die „retardierende“ – verzögernde – Abstandsabhängigkeit wegen Energie-Umverteilung auf den wachsenden Kreisumfang will ich tatsächlich gleich noch modellieren und darstellen! Da die Frequenz erhalten bleiben muss, ändert sich bei verringerter Geschwindigkeit auch die Wellenlänge, und zwar direkt proportional. Durch Kreisform und innere Reibung mehrfach „verdünnt“ setze ich die Retardation mal als einen negativ additiven quadrierten Ringnummer-Term für den Kreisradius an (bei ausgeklammerter Ringnummer wäre das linear statt ohne innere Reibung etwas schwächer, nämlich als zweite Wurzel):
Tatsächlich, eine leichte Biegung zur Waagerechten hin und Flecken im Muster entstehen wirklich. Mann, eh, das fetzt vielleicht! (Phasenunterschied zwischen Vorder- und Hinterflügel und Trapezwinkel waren wenig von Einfluss, das Länge-Breite-Verhältnis aber schon, wie man sehen kann…)
Man kann auch versuchen, mit zwei flachen und aneinandergelegten Händen das Wasser (etwa knapp hüfttief) rhythmisch nach unten zu drücken, bis der zurückschwappende „Berg“ etwa 30 cm hoch wird. Machen das vier Personen, die im Rechteck stehen, ergibt sich das schöne Muster in einiger Entfernung, wenn sonst nicht zu viel Wellengang durch andere Badende ist (kaltes Wetter ist günstig)!
Andere interessante und ständig wechselnde Strukturen ergeben sich, wenn ein Wasserfilm oder eine dünne Krümelschicht auf einer schwingenden Platte liegt und durch die Frequenz eines Schwingschleifers (bei wechselnder mechanischer Belastung der Platte) „verarbeitet“ wird.
Oder man erlaubt den kleinen Enkeln auf der Paddeltour, wechselnd gespreizte Finger ins vorbeigleitende Wasser zu halten, um Experimente für Opas Web-Site zu machen…
(Nimmt man die erzeugende Welle weg, ist auch die Struktur der stehenden Welle weg. Der Aspekt „Struktur als Protokoll des Werdens“ ist hier also nur kausal, aber nicht temporal erfüllt.)
Überträgt man diese Vorstellungen auf die atomare Ebene, kann man sich die Elementarteilchen bis hin zu den Elektronenkonfigurationen in Atomen und Molekülen als zeitweilig eingefangene „stehende Wellen stehender Wellen“ denken, für die die Zeit „zur Zeit“ keine Rolle spielt, solange sie eben eingefangen sind.
Überträgt man das auf Luftdruckwellen, entstehen in geeigneten Vorrichtungen bestimmte „Töne“, aus denen wir „Musik“ zusammensetzen können. Solche Vorrichtungen heißen Musikinstrumente und besitzen Elemente (z.B. gespannte Saiten), deren Bewegungen sowohl der Schwingungsgleichung genügen als auch eine Reflexion zulassen (und die manchmal einen entsprechenden Resonanzboden besitzen) oder die einfach einen veränderlichen Luftraum zur Verfügung stellen, in dem sich stehene Wellen aufbauen können (und dabei z.B. das Durcheinander der Ursprungswelle beim Anblasen eines Blasinstruments „sortieren“, wie das auch beim Anstreichen oder Anzupfen von Saiten durch die Saite selbst passiert).
Hier wird auf eine bildliche Darstellung stehender Wellen verzichtet, da es genügend Animationen im Netz gibt.
Die dahinter stehenden Gesetze, die zu einer besonderen Folge der aussortierten Frequenzen der stehenden Welle (der neue Energie ständig zugeführt werden muss, weil sie ja auch Energie an unser Ohr abgeben soll) führen, „Obertonreihe“ genannt, werden uns beim Thema „Musik“ noch beschäftigen.
(Es sei hier verraten, dass es allein an der Energieverteilung auf die Obertonreihe liegt, dass wir vertschiedene Instrumente voneinander unterscheiden können, die alle den gleiche Ton spielen.)
Spinnt man den Wasser-Faden weiter, kommt man auf die Kronenstruktur der besonders großen „Pfützen-Männchen“, wenn die Pfütze flach ist: Es bildet sich eine erst rein rotationssymmetrisch aussehende hochschießende Säule mit einer Mulde in der Mitte, deren Rand sich dann in kleine Tröpchen auflöst, nachdem kurzzeitig eine „Krone“ zu sehen war. Solche Experimente hat einmal einer meiner Studenten gemacht, um die Exaktheit seiner selbst entwickelten Kamerasteuerung mit automatisch berechneter Verzögerung zu testen. (Auch in der Kaffee-Werbung gibts solche Filmchen…)
Impuls, kinetische Energie, Oberflächenenergie – alles muss „passend gemacht“ werden und führt zu Lösungen mit diskreten Strukturen („Eigenwert-Probleme“ sagen die Mathematiker, auch auf Englisch: Eigenvalue): Es gibt unter all diesen physikalisch einschränkenden Bedingungen eine günstigste Zahl (und damit günstigste Größe) der Tropfen, die ziemlich gleichverteilt auf dem Umfang entstehen „muss“. Knapp unter dem oberen Rand sieht man schon eine Schwingung des Schlauchs als Vorstufe.
Das Auseinanderspritzen der Tröpfchen erinnert an einen alten Brunnen, der neben dem „Pusteblumenbrunnen“ nicht weit vom Dresdner Hauptbahnhof auf der Prager Straße stand. Der komplett rundum überlaufende Wasserfilm beschleunigte sich im Fallen und musste deshalb dünner werden, und die Oberflächenspannung bog den Schlauch zur Mitte hin, so dass er enger wurde, bis er im Widerstreben mit der Erdanziehung riss. Beim Reißen spritzte mehr Wassers nach außen, als man gemeinhin annehmen wollte. Das war die Komponente der Oberflächenspannung, die am entstehenden Rand nach „innen“ bezüglich des Films, also in Wirklichkeit nach oben außen bezüglich des Fliegenpilzfußes wirkte. Die resultierende Bewegung war ein Fallen nach außen unten.
(Heute steht der Brunnen an neuem Ort in Dresden.)
Antwort:
Überlagert man sich mit veränderlicher Amplitude/Wellenlänge/Geschwindigkeit ausbreitende Wellen, so kann man auch komplexe Interferenzmuster erzeugen.
Die Modellierung von „Kronenmustern“ als Resultat zerspritzender Häutchen steht aber noch aus.
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