Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


2.8.3.3 Spiel mit dem T²-a³-Gesetz

Wenn man schon einmal mit den Kepler-Gesetzen spielt, kann man auch im „Normalfall des Gravitationsgesetzes“ (d.h. F ist proportional zu 1/r²)  weiter in die Tiefe gehen.

Versteht man das 3. Keplersche Gesetz, dass sich die Quadrate der Umlaufzeiten wie die dritten Potenzen der Großen Halbachse verhalten müssen?

Heißt das im Umkehrschluss, da ja von der Exzentrizität nicht gesprochen wird, dass das unabhängig von ihr ist? Dass im „Extremfall“ auch eine Kreisbahn gleicher „Großer Halbachse“ die gleiche Umlaufzeit hat? Und warum wird die „Große“ Halbachse genommen? Fragen über Fragen.

Machen wir es uns leicht und nehmen erst einmal eine Kreisbahn. Dann gilt für das Gleichgewicht von Anziehungskraft und Radialkraft

M*m*G/r² = m*v²/r

Setzen wir die Konstanten gleich 1 und kürzen, erhalten wir

r = 1/v²

Da auf einer Kreisbahn gilt, dass v = 2*Pi*r/T ist, setzen wir ein und erhalten

T²/r³ = 4 Pi²

So einfach geht das.

Mit einer üblichen doppelten Integration der Beschleunigung (mit der Kraft des Gravitationskraftgesetzes unter Berücksichtigung der trägen Masse, also zweimal NEWTON) erhalten wir schöne Trajektorien. Als faule Physiker nutzen wir alle Möglichkeiten der Vereinfachung durch Symmetrien und starten die Bahn auf der x-Achse in positive y-Richtung, also rechtwinklig zur x-Achse. Die beiden Schnitte der Bahn mit der großen Achse der Ellipse sind die beiden einzigen Punkte der Bahn (ihre beiden Scheitelpunkte), in welchen der Geschindigkeitsvektor senkrecht auf dem Radiusvektor steht, dazwischen taumelt dieser Winkel (Siehe auch „Libration des Mondes“, denn unsere Betrachtungsrichtung des Mondes entspricht dem „Fahrstrahl“!). Je nach Größe der Startgeschwindigkeit erweist sich dieser Startpunkt dann als Apo- oder Periapsis, dazwischen existiert eine Größe der Geschwindigkeit, bei der eine Kreisbahn entsteht. Dann „messen“ wir die Umlaufzeit und vergleichen diese mit einer Kreisbahn gleicher „Großer Halbachse“, für die wir natürlich erst die passende Geschwindigkeit durch Pröbeln oder Rechnen ermitteln müssen. Und siehe da:

– Unterschiedliche Startgeschwindigkeiten ergeben unterschiedliche Große Halbachsen (Exzentrizitäten) und unterschiedliche Zeiten, aber das Verhältnis der Quadrate der Zeiten zu den Kuben der Großen Halbachsen ist im Modell immer (also bis auf konkrete physikalische Konstanten) exakt 4 Pi²!

– Für penibel eingestellte gleiche Große Halbachsen sind die Zeiten bei unterschiedlichen Exzentrizitäten ebenfalls exakt gleich.

(Wir haben hier nicht weiter darüber nachgedacht, dass wir eine träge gegen eine schwere Masse gekürzt haben. Ihre Äquivalenz erscheint uns – im Unterschied zu Albert Einstein – selbstberständlich.)

(Wir haben auch nicht darüber nachgedacht, wieso wir bei einer Masse, die wir gekürzt haben, trotzdem darauf bestehen müssen, dass sie klein gegen die Zentralmasse ist: Das Postulat der Gleichheit entgegengesetzter Kräfte heißt ja schließlich nicht auch gleiche Beschleunigung. Letztere ist der Masse umgekehrt proportional, und die Zentralmasse soll ja „ortsfest“ bleiben…)

Hier zwei ausgewählte Plots der umlaufzeitmäßig zusammengehörigen Ellipsen und Kreise (also gleich großer Halbachsen) aus der numerischen Integration (siehe untere der beiden Tabellen):

schneller Start in (2;0) ergibt Periapsis

langsamer Start in (2;0) ergibt Apoapsis


Hier die erspielten Werte für die Ellipse (sehr dicht an 4*Pi² = 39,48):

vy T a T²/a³ b eps
0,12 6,589 1,015 43,41 1,05 41,52 0,244 0,971
0,13 6,541 1,017 42,78 1,05 40,67 0,265 0,965
0,14 6,529 1,020 42,63 1,06 40,17 0,285 0,960
0,15 6,536 1,023 42,72 1,07 39,90 0,305 0,955
0,2 6,684 1,042 44,68 1,13 39,49 0,408 0,920
0,25 6,922 1,067 47,91 1,21 39,44 0,516 0,875
0,3 7,238 1,099 52,39 1,33 39,47 0,629 0,820
0,35 7,643 1,140 58,42 1,48 39,43 0,747 0,755
0,4 8,161 1,190 66,60 1,69 39,52 0,873 0,680
0,45 8,822 1,254 77,83 1,97 39,47 1,008 0,595
0,5 9,673 1,333 93,57 2,37 39,50 1,155 0,499
0,55 10,785 1,434 116,32 2,95 39,45 1,317 0,396
0,6 12,272 1,562 150,60 3,81 39,52 1,500 0,279
0,65 14,316 1,732 204,95 5,20 39,45 1,711 0,155
0,707 17,762 1,999 315,49 7,99 39,47 1,999 0,000
0,75 21,725 2,286 471,98 11,95 39,51 2,268 0,125
0,8 29,089 2,778 846,17 21,44 39,47 2,667 0,280
0,85 42,98 3,604 1847,28 46,81 39,46 3,227 0,445
0,9 75,86 5,263 5754,74 145,78 39,48 4,130 0,620
0,95 206,425 10,258 42611,28 1079,41 39,48 6,086 0,805

Und hier die erspielten Werte für die Paare von Kreisen und Ellipsen (die Startgeschwindigkeiten von Kreis – vy0 k – und Ellipse – vy0 e – sind als unabhängige Variable so gewählt worden, dass gleichgroße große Halbachsen entstanden sind; die numerische Exzentrizität – eps – ist berechnet worden und die Halbachsen sowie die Zeiten sind „gemessen“, also aus den entsprechenden Tabellenwerten herausgezogen worden):

Halbachse eps T E T K vy0 e vy0 k
1,1905 0,680 8,160 8,162 0,400 0,917
1,25392 0,595 8,822 8,820 0,450 0,893
1,3333 0,500 9,672 9,671 0,500 0,866
1,4337 0,395 10,790 10,776 0,550 0,835
1,5625 0,280 12,270 12,286 0,600 0,800
1,7316 0,155 14,320 14,318 0,650 0,760
1,9608 0,020 17,250 17,238 0,700 0,714
1,9994 0,000 17,760 17,744 0,707 0,707
3,60361 0,445 42,980 43,030 0,850 0,527

Noch genauere Werte erhält man durch genauere Iteration der Kreisbahn-Startgeschwindigkeit. Dazu müsste man sich ein kleines Programmchen schreiben. War ich zu faul und habe es freihändig in der EXCEL-Tabelle angepasst.

Hier nun grafisch dargestellt noch eine weitere Serie von Ellipsen (einschließlich Vergleichs-Kreis!) identisch großer Halbachsen (hier mit frei einstellbaren Start-Orten x und Start-geschwindigkeiten vy einheitlich iteriert auf die Umlaufzeit T=43) und somit sich tatsächlich ergebender identischer großer Halbachse a=3,6 (kann man dem Diagramm leicht entnehmen):

Ist das nicht hochinteressant, dass die Bummelei in der Apoapsis durch die Raserei in der Periapsis exakt ausgeglichen wird, wobei sich ja auch noch die Bahnlänge ändert? Die immer weiter „plattgedrückten Kreise“ ergeben trotzdem ein Bewegungsintegral (Zeit), das konstant bleibt… Hätte ich in Mathe besser aufgepasst, könnte ich das analytisch beweisen. Man sollte mal bei den unterschiedlichen Parameterdarstellungen nachschlagen. Jedoch: Wir haben es mit an den Computer delegiertem Fleiß aus der First-Principle-Modellierung heraus auch ohne hohe Analytik geschafft. Was will man mehr?

Gut. Aber:

Vertiefungs-Frage 1: Warum spielt die „Kleine Halbachse“ überhaupt keine Rolle?

Gedankengang 1:

Aus der Sicht der Physik (und der Erfahrung aus der Regelungstechnik) erinnert die Kepler-Ellipse an eine Schwingung, also an einen Energie-Austausch zwischen zwei Reservoirs: Kinetische und potentielle Energie. So haben wir das auch schon in der Schule beim Pendel gelernt, bei der Masse an der Feder oder dem elektrischen Schwingkreis. Dort wird aus der Proportionalität zwischen der Auslenkung vom Gleichgewicht und der rücktreibenden „Kraft“ eine „harmonische Schwingung“.

Wendet man dieses Bild auf die Kepler-Ellipse an, erhellt sofort der Unterschied zwischen ihrer geometrischen und ihrer physikalischen Symmetrie: Die wirkende Zentralmasse steht in einem Brennpunkt, nicht aber im Mittelpunkt der Ellipse! Diese hat nur eine Symmetrieachse aus physikalischer Sicht, obwohl sie geometrisch zwei hat!

Welche Geschindigkeit zeigt nun ein harmonische Schwingung, die Komponente parallel zur Großen Halbachse oder die Bahngeschwindigkeit? Oder gar keine, sondern die kinetische Energie? Oder nichts davon?

Prüfen wir also einfach die Tabellenwerte, indem wir Diagramme erstellen:

gravitative Bahn-Werte

elastische Bahnwerte

allgemeine Bahn-Werte

Die 3 Bahnen im Vergleich

Die 3 Potentiale im Vergleich


Man sieht, dass nirgends eine harmonische Schwingung komplett zu sehen ist, dass man sich aber eine andere „Schwingung“ vorstellen kann, wenn man die Bewegung entlang der großen Halbachse betrachtet:

Eine Schwingung aus einer annähernd halben gravitativen Ellipse (quasi als Parabel in der Zeit dargestellt) und einer annähernd halben elastischen Ellipse (quasi als Parabel in der Zeit dargestellt), nämlich als Reflexion eines weich-elastischen Körpers (Hohlkugel wie Ball) an einer harten Unterlage. Die Exzentrizität ist dann eine Maß für die „Härte“ der elastischen Reflexion!

(grafisch dargestellt unter 2.8.3.2.1!)

Gedankengang 2:

Variiert man den Exponenten des Kraftgesetzes um eine Punkt-Masse (und verlässt somit absichtlich den Geltungsbereich der Poisson-Gleichung für eine Punkt-Masse), so erkennt man, dass die Kepler-Ellipse der einzige Spezialfall einer allgemeinen Rosetten-Trajektorie ist, bei der nämlich Schwingungsfrequenz und Apsidendrehungsfrequenz identisch und gleichsinnig sind, so dass die „Gegenschwingung“ räumlich mit der „Startschwingung“ zusammenfällt, obwohl erst eine halbe Schwingzeit vorüber ist. Da es bei einer Rosette zwar größte und kleinste Abstände zum Zentrum gibt und also eine „verallgemeinerte Große Achse“ angegeben werden kann, gibt es keinerlei Ansatzpunkt füe eine „verallgemeinerte Kleine Achse“. Das stimmt mit der Tatsache überein, dass auch die Kepler-Ellipse keinerlei physikalischen Ansatz liefert, eine „Kleine Halbachse“ festzumachen. (Diese existiert nur in geometrischer Sichtweise.)

Vertiefungs-Frage 2: Warum spielt der „Schwerpunkt“ überhaupt keine Rolle?

Wie schon bei den immer noch ziemlich einfache Rotationsellipsoiden eindrücklich gezeigt, weicht der Schwerpunkt vom VSZ (Virtuelles Schwere-Zentrum oder HSZ Hypothetisches Schwere-Zentrum) deutlich ab. Bei stochastischen Masse-Verteilungen ist das naturgemäß noch komplizierter.

Aber beginnen wir mit einem einfachen Vergleich:

a) Probemasse saust auf Kreisbahn um zentrale Punktmasse (Wiederholung!)

F = Gm1m2/r² = m2rω²

ω² = Gm1/r³

b) Zentrale Punktmasse m1 wird zu zweimal m halbiert uns saust als Doppelstern kreisförmig um gemeinsamen Schwerpunkt mit gleichem r wie unter a)

m=m1/2

F = Gm²/(2r)² = m*rωd²

ωd² = Gm/4r² = Gm1/8r²

ω = 2√2*ωd

Die Umlaufzeit des Doppelsterns gleicher Gesamtmasse ist also etwa 2,8 mal höher als die Umlaufzeit einer hypothetischen Probemasse um seinen Schwerpunkt.

Das widerspricht dem (falschen!) Denk-Ansatz, dass die Umlaufzeit um eine Zentralmasse unabhängig von der Größe der Probemasse sei, solange diese klein gegen die Zentralmasse ist (und damit die Lage des Schwerpunkts nicht verändert), UND dass eine Zentralmasse bei ihrer Ersetzung durch eine Masseverteilung durch deren  Schwerpunkt zu ersetzen ist. Eine Probemasse im Doppelstern-System bewegt sich nämlich sowohl völlig anders als jeder der beiden Sterne im Fall b) als auch völlig anders als im Falle a), auch wenn sie mit gleicher Geschwindigkeit und Abstand vom Schwerpunkt losgelassen wird. Sie „weiß“ nichts vom Schwerpunkt der beiden anderen, sondern nur von den beiden superponierten Einzelkräften!

Die ideale Denkhilfe „Schwerpunkt“ für Statiker (es ist der Ort, in dem sich alle Schwerkrafts-Drehmomente aufheben) oder für Dynamiker (die Achsen der kräftefreien Rotation eines Körpers – zum Beispiel jene des maximalen und minimalen Trägheitsmoments – schneiden sich in seinem Schwerpunkt) leistet im Falle der Gravitation einen Bärendienst, sobald wir das Zwei-Punktmassen-System verlassen. Dass dieses Spezialsystem dazu führt, dass auch ein unsymmetrischer Doppelstern auf zwei zeitsynchronen UND ähnlichen Ellipsen mit einem gemeinsamem Brennpunkt, der ihr Schwerpunkt ist, läuft, liegt daran, dass die Kraftlinie (Verbindungslinie von beiden) zwischen ihnen unausweichlich durch den Schwerpunkt verlaufen muss, der naturgemäßauch auf der Verbindungslinie liegt.

Die grüne Bahn der zusätzlichen Probemasse, die sich um den hypothetisch mit der Gesamtmasse belegten Schwerpunkt bewegt, überdeckt (bewusst eingestellt!) zum Zwecke des exakten Vergleichs die blaue Bahn des einen Teils des Doppelsterns, um einen Umlaufzeitvergleich excelperimentell zu ermitteln.

Hier im unsymmetrischen Fall das gleiche Excelperiment.


Vergleich der „falschen“ grünen „Schwerpunkt-Bahn“ mit der „echten“ blau gestrichelten im Drei-Kraft-Problem eines unsymmetrischen Doppelsterns unter identischen Anfangsbedingungen (Start rechts außen nach oben). Ergebnis: Die tatsächliche Position der beiden Zentralkörper zu jedem Zeitpunkt spielt eine „chaotische“ Rolle für die Bahn!

Damit ist in einem mitrotierenden Bezugssystem eine Doppelschwingung zu erkennen:

– synchrone Abstands-Schwingung um Mittelwert vom Schwerpunkt

– synchrone Winkelgeschwindigkeits-Schwingung um Mittelwert der Winkelgeschwindigkeit (ähnlich Torsionsschwingung)

Die geometrische Form dieser Schwingung ergibt sich im konstant rotierenden Bezugssystem jeweils als „Bohne“ (vgl. Ausführungen in 2.8.1.0):

 

FAZIT:

Somit haben wir sowohl den Mythos der Ellipse als auch den des Schwerpunkts ad acta legen können, indem wir zeigen konnten, dass ihre Bedeutung lediglich in der Vereinfachung des Umgangs mit einem sehr speziellen Spezialfall besteht: Zweikörperproblem mit Punktmassen.

(Das schmälert nichts an der RIESENLEISTUNG von Johannes Kepler, in jahrelanger Kleinarbeit aus Tycho Brahes genauen Messdaten über Marspositionen vor dem Fixsternhimmel (geozentrisch von einer unbekannten Erdbahn aus gemessen) die Mars-Ellipse (und damit auch gleichzeitig die Erd-Ellipse!) als bestmögliche Näherung (auf die 2 Bogenminuten der Braheschen Beobachtungen genau) komplett in 3D anzugeben. (Man versuche das mal OHNE Kenntnis des dazugehörenden Kraftgesetzes und ohne Infinitesimalrechnung – Variationsrechnung – nachzuvollziehen…))

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