Kristalle selber „bauen“
Kann man aus vielen gleichen Würfeln (z.B. aus Holz) unterschiedlich indizierte Kristallflächen einfach nachbauen und so anschaulich werden lassen?
Natürlich kann man das, wenn man genügend Würfelchen zur Hand hat. Dazu kann man Leisten mit quadratischem Querschnitt im Bastelladen kaufen und sägen oder die Würfelchen direkt irgendwo im Netz auftreiben. Montessori-Schulen nutzen so etwas auch als Mathematik-Lehrmaterial.
Fangen wir also einfach an. Wir bleiben im kubischen System, wo die Elementarzelle ein Würfel ist, was eine ideale Voraussetzung für die Nutzung unserer Holz-Teilchen ist.
1. Die einfachste „Form“ im kubischen System ist die Würfelfläche, allgemein dargestellt als {100}. Legen wir die x-Achse, die hier mit dem Index 1 versehen ist, einmal nach oben, so wäre die spezielle (100) also die Deckfläche eines Würfels (Achsabschnitte wären dann 1; oo; oo). Mit 4 Würfeln – im Quadrat ausgelegt! – hätten wir sie schon dargestellt. Natürlich darf man auch viel mehr Würfel benutzen, um später einmal ungefähr gleich große Gebilde miteinander vergleichen zu können.
2. Die nächst-einfache wäre die {110}, eine 45°-Treppe (mit den Achsabschnitten 1; 1; oo), wozu wir nindestens 6 Würfelchen brauchen, wenn die Treppe 2 Würfel breit und 2 Würfel hoch werden soll. (Die Treppe geht dann nach links herunter, wenn wir die y-Achse dorthin legen, um in einem Rechts-System die z-Achse nach vorn zeigen lassen zu können.) Würde man vier solcher Treppen in alle vier Richtungen der y- und z-Achse bauen, müsste man sie nach oben schmaler werden lassen – also zur besseren Anschauung unten breiter beginnen lassen! – und erhielte an der Spitze eine „Fläche“ aus einem einzigen Würfel, wenn man unten mit einer ungeraden Zahl anfängt. Kristallografisch wäre das die Umgebung einer vierzähligen Ecke eines Rhomben-Dodekaeders, parallel zur (100) abgeschnitten. Das Rhomben-Dodekaeder kann man sich so vorstellen, dass man alle 12 Würfelkanten so lange unter 45° gleich weit abfeilt, bis die ursprünglichen Würfelflächen verschwunden sind.
3. Nun wird es schon komplizierter: Es ist die {111} dran! Hierzu bauen wir am besten ein gleichschenkliges rechtwinkliges Dreieck als Basis-Schicht. Darüber kommt ein ebensolches Dreieck mit um je einen Würfel kürzeren Katheten, wobei sie sich in der Ecke (dann Kante!) am rechten Winkel überdecken. Das setzen wir nach oben fort, bis die Seitenlänge des Dreiecks 1 geworden ist. (Achsabschnitte 1;1;1)Würde man vier solche Objekte in beiden Richtungen der y- und z-Achse aneinander bauen, erhielte man eine quadratische Pyramide, die eine Hälfte eines regelmäßigen Oltaeders darstellen würde. Das Oktaeder kann man aus dem Würfel auch erhalten, wenn man alle 8 Ecken so lange abfeilt, bis die Würfelflächen weg sind. Der Winkel muss so austariert werden, dass gleichseitige Dreiecke an den Würfelecken entstehen!
4. So, nun sind wir mit den Flächen, die man mit 1 und 0 beschreiben kann, am Ende. Die einfachste Verkomplizierung wäre {hk0}, also {210}. Das ergibt eine Treppe mit „langen“ Stufen (Achsabschnitte 1; 2; oo), also immer zwei Würfel „flach“, bevor eine einwürfelige Stufe kommt. Auch daraus lässt sich eine quadratische Pyramide bauen. ABER: Spannender ist jetzt eine Verringerung der Symmetrie, wie sie beim Pyrit auftritt. Dann werden nämlich zwei gegenüberliegende Treppen aus „flachen“ zu „steilen“, und es entsteht ein Walmdach mit unterschiedlichen Neigungen. Die vier Flächen müssten dann so bezeichnet werden: (210) und (2-10) gegenüber flach, (102) und (10-2) gegenüber steil. (Tauscht man die Einsen und Zweien alle aus, dreht sich das Dach um 90°.) Aus solchen Dächern besteht das Pentagon-Dodekaeder des Pyrits, von dem wir ein Dach, parallel zur y-z-Fläche abgeschnitten, dargestellt haben. Wenn wir wieder vom Würfel uasgehen wollen, müssen wir nun die 12 Kanten schräg abfeilen, bis alle Würfelflächen verschwunden sind. Mit etwas Übung kann man dabei die Schräge dem erforderlichen Verhältnis 2:1 anpassen. (Der Platonische Körper „Pentagondodekaeder“ hat ein leicht anderes Verhältnis. Dort entstehen regelmäßige Fünfecke, hier nur spiegelsymmetrische…)
Betrachtet man sich das letzte Bild, hat man den Eindruck, dass manche Kanten des Dodekaeders (nämlich jene, die nicht parallel zu <100> sind) nicht sehr scharf sein können. Man muss aber beachten, dass die Elementarzellen erstens sehr klein sind (deutlich unter der Lichtwellenlänge), dass zweitens beim Wachstum keine Elementarzellen andocken, sondern Moleküle, und zwar vier pro Elementarzelle, und dass drittens die Oberflächenzustände eines Kristalls etwas „nach innen“ verbogen sind, da die Kräfte nach außen fehlen. So können wir also sowohl optisch scharfe Kanten als auch spiegelnde {210}-Flächen in der Natur finden!
5. Es wird nun etwas schwieriger: Die Form {hll} steht an, am einfachsten die {211}. Dazu legen wir wieder gleichschenklige rechtwinklige Dreiecke aus, verkürzen aber die Katheten-Länge nach oben jeweils um 2 (Achsabschnitte 1; 2; 2). Machen wir das wieder vierfach, erhalten wir die Umgebung einer vierzähligen Ecke des Drachenviereck-24-Flächners (Deltoidal-Ikositetraeder), wieder parallel zur y-z-Ebene vom isometrischen Gesamt-Kristall abgetrennt. Diesen Körper kann man sich so vorstellen, dass, von einem Würfel ausgehend, die 8 Würfelecken erhalten bleiben, aber alle 6 Flächenmitten und 12 Kantenmitten nach außen „aufgeblasen“ werden, wodurch 26 Ecken entstehen.
Speziell an der {211} kann man zeigen, wie man aus der groben Konstruktion mit Quadern der Kanntenlängen 2; 2; 1 anfangen und dann die Form verfeinern kann, indem man die Anzahl der Halbkristallagen erhöht:
6. Am Ende können wir noch die Form {hkl} durch ihre einfachste Vertreterin, die {321} (Achsabschnitte 2; 3; 6), zu bauen versuchen. Wir beginnen in der ersten Lage mit einem rechtwinkligen Dreieck, dessen Hypotenuse im Verhältnis 2:1 wie aus „langen“ Stufen 6:3 gebaut wird. Die schwierige Frage ist aber nun, wie wir die „2“ in x-Richtung (nach oben) realisieren. Die einfachste Lösung ist, alles aus Quadern mit den Kantenlängen der minmialen ganzzahligen Achsabschnitte zusammenzusetzen, also Quader 6 x 3 x 2. Dann ergibt sich ein sehr grobschlächtiges Bild, das allerdings sämtlichen formalen Regeln entspricht. Aus energetischer Sicht (Andockungswahrscheinlichkeit aus Überlegungen der Bindungsenergie) ist jedoch mit einer Unterteilung der „Makrostufen“ in „Mikrostufen“ der Höhe 1 zu rechnen, auch wenn diese dann untereinander verschiedene Abstände haben müssen, da man die Stufe „3“ nun einmal nicht ganzzahlig halbieren kann, wie das bei den Stufen „2“ gegen „6“ natürlich der Fall ist. Daraus ergeben sich interessante neue Bilder, die die Hauptrichtung der Flächen-Normalen (oder eine „Einhüllende“ der Fläche selbst) nicht zerstören. Man gelangt schließlich zu einem „End-Zustand“, bvei dem ein weiteres Einsetzen von Würfeln in die Halbkristal-Lagen keine weitere Verringerung des Anteils der „Nicht-Halbkristall-Lagen“ mehr bringt. Das dürfte (theoretisch; es kann ja molekulare Gründe in der Elementarzelle geben, die zu anderen Ergebnissen führen, und das auch noch in Abhängigkeit vom Chemismus der umgebende Phase) dann die wahrscheinlichste mikroskopische Struktur einer Fläche mit bestimmten Millerschen Indizes ergeben.
Die Konstruktion der Fläche beginnt wieder sehr grob aus Quadern 6 x 3 x 2:
Die perfekte Lösung ohne Fehler:
Die letzte Überlegung zeigt übrigens auch, dass eine „Kristall-Fläche höherer Indizes“ nicht unbedingt zu mikroskopisch komplizierteren Gebilden führen muss als eine „niedriger Indizes“, wie das Pärchen {321} (mit den Achsabschnitten 2; 3; 6) und (632) (mit den Achsabschnitten 1; 2; 3) zeigt. Im letzteren werden die Stufen 3:1 UND 3:2 unregelmäßig aufgefüllt, die Zwickel ebenfalls, im ersteren die Stufen 6:2 -> 3:1 UND 3:2 genauso. Die angefügten Fotos meiner Würfel-Bilder veranschaulichen das gut, wenn man sich gründlich hieingelesen hat…
Hier der Vergleich mit der {632}:
Das alles hier ist eine versteckte Aufforderung, einmal selber ein paar Hundert Würfelchen in die Hand zu nehmen und zu probieren. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das viel spannender ist, als man anfangs denkt!
Wenn man sich reale Kristalle ansieht, die nebeneinander Flächen verschiedener Formen (z.B. {100}, {hk0}, {hll}) zeigen, kann man oft einen Unterschied im Glanz feststellen. Woran das liegt, haben wir beim Nachbau erkennen können. Besonders anschaulich ist das bei komplizierteren Kristallsystemen als dem kubischen, zum Beispiel beim Quarz, schön sichtbar durch die Färbung beim dunklen Rauchquarz, der zu viel Durchlicht verhindert. Hier mein Lieblingsbeispiel der beiden Trapezoederflächen {411} (matt) und {611} (glänzend) an zwei Exemplaren aus dem Val Giuv in der Schweiz:
Stereobild der Quarzstruktur (eigenes Programm) und „Nachbau“ des linken Kristalls mit eigenem Programm und mit „Shape“.
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