Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


Rückkopplung

In dieser Abhandlung wird oft der Begriff „Rückkopplung“ strapaziert. Was bedeutet er hier?

Wird die Wirkung einer Ursache zu einer neuen Ursache desselben Zusammenhangs, kann man von Rückkopplung sprechen.

Nimmt man die Mäuse, klingt es leicht:

Viele Mäusepärchen kriegen viele Junge, so dass bald noch mehr Mäusepärchen viele Junge kriegen usw. usf. („positive Rückkopplung“, „Wachstum“)

Nimmt man Katzen hinzu, wird es schwieriger: Viele Mäuse ernähren viele Katzen, viele Katzen verringern die Mäuse, … („Räuber-Beute-Schema“ RBS)

Nimmt man auch noch Korn hinzu, wird es noch komplexer: Viele Mäuse fressen viel Korn, wenig Korn ernährt wenig Mäuse, wenig Mäuse ernähren wenig Katzen, wenig Katzen lassen viele Mäuse zu, wenig Mäuse lassen Korn übrig, … (RBS höherer Ordnung)

Man spürt schon, dass sich ein gekoppeltes Gleichungs-System ergibt, das geradezu nach numerischen Lösungs-Ansätzen schreit.

Aber es geht auch ohne Mäuse:

Ich pumpe den Fahrradreifen auf, und je höher der Druck wird, desto weniger neue Luft kommt mit dem nächsten Schlag hinein usw. usf. („negative Rückkopplung“, „Ausgleich“, Befüllung eines endlichen Speichers)

Das Wasser aus dem Fass läuft schnell aus, so dass der Druck geringer wird und das Wasser langsamer ausläuft usw. usf. (zeitliche Umkehr des Wachstums, spezielle Form des Ausgleichs)

Das geschlossene Relais legt Spannung auf den Haltemagneten und fällt nicht mehr ab, auch wenn der Taster losgelassen wird.

Der Ausgang des ODER wird auf den Eingang gelegt. Ein kurzer 1-Zustand auf einem seiner Eingänge genügt, um es dauerhaft im Ausgang auf 1 zu halten.

Egel, welcher Taster (Eingang) mal kurz betätigt wird, der Ausgang hält sich ewig selbst als gleichzeitiger Eingang auf „1“ (benutztes Programm: „DigitalSimulator“ von Andreas Hertz)

Durch zwei Taster umschaltbarer Selbsthalter („Flip-Flop“) als fertiges Bauelement „RS-FF“ und als Schaltung der Grundgatter „NAND“ und „NOT“

Etwas eleganter geht es im Analogen zu: Über einen Regler wird ein bearbeiteter Messwert der „Strecke“ auf ein Stellglied gelegt, so dass eine Veränderung der Strecke in gewünschter Weise (hin zum Sollwert!) erfolgt, was natürlich auch den Messwert wieder ändert. (Das kann je nach Zeitverhalten der Glieder des Kreises eine konkrete Überlagerung von Ausgleich und Schwingung sein, wobei sich aber eine „Störgröße“ ständig ändern kann…)

Schematisch stellt man das durch kreisförmig geschlossene Pfeile zwischen den Gliedern dar („Wirkungs-Kreis“ statt „Wirkungs-Kette“!):

Regelkreis als komplex einstellbare Rückkopplung (Regler – oberes Kästchen – analog über Operationsverstärker realisiert oder digital-numerisch über Differenzengleichungen für die erste Ableitung)

Numerisch übernimmt man Werte des jetzigen Zustandes in die Berechnung der Änderungen der Ursachen, in deren Wirkung im nächsten Zeittakt neue Werte entstehen, die wieder… (siehe „numerische Integration“!)

Das klingt alles ganz einfach, ist im praktischen Fall aber oft so kompliziert, dass selbst studierte Ingenieure Kopfschmerzen bekommen.

BEISPIEL: von der Oma geerbter EIERKOCHER .

Eine konstante elektrische Heizung verwandelt Wasser aus einer Schale zu Dampf, der die im darüber liegenden (bis auf kleine Löchlein im Deckel geschlossenen) Raum (etwa 17 * 5 * 7 cm³ = 6*10² cm³) befindlichen Eier (die NICHT ins Wasser tauchen!) erwärmt, bis das Wasser alle ist und ein Bimetall das Gerät abschaltet.

Der berühmte uralte Rückkopplungs-Eierkocher

So weit, so gut. Wie viel Wasser benötige ich? Ist klar, für harte Eier viel und für weiche wenig.

Und, da drei Eier hineinpassen, wie berücksichtige ich die Zahl der Eier? Viele Eier – viel Wasser und wenig Eier – wenig Wasser?

Die vorbereiteten Striche auf dem Messbecher sagen anderes:

Viele Eier – wenig Wasser!

Genauer: Für „medium“ 46 mm (1 Ei), 53 mm (2 Eier) oder 60 mm (3 Eier) Wasserstand im Messbecher von 35 mm Innendurchmesser (also 44, 51 und 58 cm³).

Argumente der Testpersonen: Klar, die Eier nehmen Platz weg, da braucht man weniger Dampf!

Bewertung: Richtige Tendenz, aber Unsinn, da ein Ei mit etwa 65 g etwa 65 cm³ Raum einnimmt, wozu etwa 54 mm³ = 0,054 cm³ Wasser einmalig erforderlich wären. Das wäre aber etwa nur ein halber mm Füllstand-Unterschied!

Was ist nun wirklich der Grund?

Wollen wir den Prozess genauer betrachten, wenden wir unser Grundlagen-Wissen an und erkennen beim BILANZ-Gedanken (Satz von der Erhlatung der Energie, also der Aufspaltung der zugeführten Leistung in einer gegebenen Zeit, nämlich der vorgegebenen Kochzeit der Eier zum Zustand „medium“, und konstante Energie ist hier nun einmal konstante elektrische Leistung mal feste Zeit) zwei Phasen:

Damit haben wir die Rückkopplung gefunden: Das Wasser wird mehrfach verdampft: Je mehr Eier, desto mehr Kondensation an ihrer kalten Oberfläche!

Mit den Öffnungen, wie manche vermuten, aus denen der Dampf austritt, kann es nichts zu tun haben, solange sie so klein sind, dass es keinen Austausch von heißem Dampf und kalter Außenluft geben kann (dann würden die Eier den Wasserspiegel minimal schützen können) und so groß, dass der Überdruck nicht den Deckel wegsprengt. Es wird also in der Energie-Bilanz so sein müssen, dass alle Energie, die nicht durch heiße Teile des Geräts direkt an die Außenluft abgegeben wird, in die Verdampfung geht und mit dem Dampf durch die Löcher nach außen will.

Aber halt: Vorher muss der Dampf ja noch an den Eiern vorbei. Was macht er denn da, na? Na klar, an den noch kalten Eiern kondensiert er und tropft zurück in die Schale und kann aufs Neue zu Dampf werden und und… Erst an den heißer werdenden Eiern kondensiert er nicht mehr so gut und haut dann endgültig ab.

Wenn wir die obige Reihe für „Null Eier“ fortsetzen, erhalten wir 65 cm³ Wasser, also etwa so viel wie ein Ei auch einnimmt. Pro Ei werden somit 7 cm³ Wasser zurückgeführt, das ist ein Dampfvolumen von etwa 10 Litern. Die Kondensationswärme ist für Wasser etwa 2 kJ/g, hier also 14 kJ ans Ei abgegeben. Damit könnte man 65 g Ei von 20°C auf etwa 70°C erwärmen. Den Rest macht der Wärmeaustausch mit dem nichtkondensierenden Dampf (Eiklar gerinnt ab 83 °C, Eigelb ab 65°C, während des Erwärmens bleibt das Innere bestimmt auch kühler…).

Ist das nicht ein herrliches Oster-Thema?? (Heute ist der Ostermontag 2017 und das XXL-Frühstück-Ei war perfekt bewässert!)

Übrigens:

Den Erwärmungsvorgang eines Eies selbst habe ich noch nicht dreidimensional modelliert, aber für dicke Schichten habe ich Bilder einer eindimensionalen Modellierung erzeugt, die je nach Wärmeübergang an der Oberfläche und Wärmeleitung im Inneren unterschiedlich aussehen (hier ist es eine Abkühlung statt einer Erwärmung, ob es sich aber um die Abkühlung – z. B. einer exhumierten (aufgetauchten) Schicht eines vormals subduzierten (abgetauchten) Kontinents – oder die Erwärmung – z. B. eines Stahlblechs – handelt, das Prinzip bleibt gleich), wenn einmal die Umgebungstemperatur konstant ist:

zweiseitige Schicht-Abkühlung innen gut

zweiseitige Schicht-Abkühlung innen schlecht


und ein andermal nach den gleichen Gesetzen durch Austausch mit der Umgebung sich ändert:

Abkühlung durch Wärmeabgabe an die Umgebung gleicher spezifischer Wärmekapazität – eine „neue“ Art der „Rückkopplung“ ist hier die deutlichere Verringerung der Abkühlungsgeschwindigkeit durch Erwärmng der Umgebung: „Ausgleich“

Man sieht oder „ahnt“, dass das Ei noch eine Weile im Inneren kühler bleibt als dicht unter der Schale, bis sich diese Verteilung beim Abschalten der Wärmezufuhr irgendwann umkehrt und das Eigelb länger warm bleibt als die im Aprilwetter abgekühlte Oberfläche im verregneten Osternest.

Mehr dazu siehe auch unter: Dämpfung

Im Sommer sind zwei beliebte oder gefürchtete positive Rückkopplungen in Gewitterwolken zu beobachten:

Fluktuationen der Lufterwärmung über dunklen Bodengebieten führen durch Aufsteigen der heißen Luft zu Konvektionszellen, die so stark sind, dass die warme feuchte Luft so schnell nach oben steigt, dass sie sich beim Ausdehnen in dünnerer Luft abkühlt, wodurch Waaerdampf kondensiert, wodurch erstens eine weitere „Verdünnung“ und zweitens eine erneute Erwärmung stattfinden, weshalb sie noch schneller aufsteigt, weshalb – weshalb – weshalb…

Die weit oben und schon stark abgekühlt schwebenden (sie fallen in der steigenden Luft und bewegen sich relativ zur Erdoberfläche also nicht) kleinen Tropfen vereinigen sich zufällig zu größeren, die schneller fallen als die Luft steigt, und reiben sich an der wärmeren Luft und fangen sowohl neue kleine Tropfen ein als verdunsten auch von der Oberfläche, was sie abkühlt, bis sie Eis werden, und fangen weitere und vereisen immer mehr und fallen immer schneller und vereisen immer schneller und knallen schließlich dellenbildend aufs Autodach. (Zum Vergleich: Die spezifische Verdampfungswärme des Wassers von etwa 2470 kJ/kg ist gegen die etwa 330 kJ/kg spezifische Schmelzwärme viel höher, so dass die Hagelkörner trotz eines geringen Ausgleichs mit der Luft gut wachsen können!)

Weit spannendere Rückkopplungen erleben wir im menschlichen Zusammenleben auf sämtlichen strukturellen Ebenen:

Ich – Ich (Lernprozess der Selbsterkenntnis)

Ich – Umwelt (allgemeiner Lernprozess)

Ich – Du (Beziehung)

Ich – Ihr (Familie, Gruppe – freiwillig oder unfreiwillig)

Ich – anonyme Gesellschaft

Gruppe – Gruppe

Gruppe – Gesellschaft

Gesellschaft – Gesellschaft

Einige wenige Aspekte davon werden im Hauptabschnitt 4 behandelt.

Und nun noch einige Worte zu Spezialfällen „gelungener“ Rückkopplung, und zwar ganz im Sinne des Hauptthemas „Struktur als Protokoll des Werdens“:

Rückkopplung kann zu Resonanz oder Synchronisation führen, und zwar auf ganz unterschiedlichen Gebieten und auf ganz unterschiedlichen (Abstraktions-) Ebenen.

Über die Synchronisation mit Hilfe unserer Wahrnehmung ist schon bei den Themen Sprache (im Gespräch oder auch beim Zuhören allein) und Musik (beim Zuhören und noch mehr beim gemeinsamen Musizieren und vor allem beim Improvisieren) sowie Sport und Spiel einiges gesagt worden, indem ein Erwartungsbaum zeitlich korreliert (gespeist aus dem Speicher der Erinnerung an jeden Ast und Zweig des Baums!) mitläuft und sich – bei unerwarteten Ereignissen – ständig aktualisiert oder – bei erwarteten Ereignissen – festigt.

Auch in der Technik ist Synchronisation an vielen Stellen erforderlich und deshalb realisiert.

Unter „Resonanz“ ist ebenfalls sowohl ein natürliches Koppeln von technischen Schwingungen als auch ein emotionales oder mentales Einschwingen auf ein Gegenüber (Einzelner oder Gruppe) zu verstehen, was besonders gruppendynamisch zu erstaunlichen Ergebnissen führen kann.

UND: Schon im einfachen alltäglichen Zwiegespräch ist es ständig erforderlich, die Bedeutung von Begriffen abzugleichen („Synchronisation“ wäre als Begriff hier nicht korrekt, weil er mit dem Wortstamm „chronos“ das zeitliche Eintakten meint, nicht das inhaltliche), um Missverständnisse zu minimieren. Jeder kennt den Hilferuf: „Aber das habe ich doch gar nicht so gemeint!“

Es ist also eine große Kunst, den vernünftigen Mittelweg zwischen der Zahl „vermuteter“ Bedeutungen der vom Gegenüber verwendeten Begriffe und der Zahl von Rückfragen zu den Bedeutungen (=Begriffsinhalten) zu finden, um ein Gespräch weder missverständlich werden zu lassen noch in seinem Flusse völlig zu zerstören. Je grundlegender das Thema an axiomatisch strukturierte Inhalte (z.B. Geometrie) führt, desto wichtiger wird natürlich die komplette Übereinstimmung der Begriffsinhalte für beide Partner.

Auch dieser iterative Prozess der Annäherung an ein optimales Gesprächsverhalten ist über die „Erfahrung“, also die Rückkopplung mit dem eigenen Gedächtnis, dazu geeignet, neue Strukturen sowohl der Erwartung als auch des eigenen Reaktionsmusters zu generieren.

Hierin liegt wahrscheinlich die größte Herausforderung für die KI, die Konstrukteure der künstlichen Intelligenz.

 

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