Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


Proportionalität, absolute und relative Größen

Der einfachste quantitative Zusammenhang in der Nutur ist die Proportionalität zwischen Ursache und Wirkung oder die einfache Proportinoalität zwischen verschiedenen Größen der Geometrie oder anderen Erscheinungen.

Im menschlichen Leben nennt man das „Verhältnismäßigkeit“ der Mittel (z.B. juristisch zwischen Verfehlung und Bestrafung, Schuld und Sühne) und sagt, „auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“.

Wie also das Wort schon sagt, ist eine bestimmte „Proportion“ (ein bestimmtes Verhältnis) zwischen zwei Größen vorhanden. Man prüft das am einfachsten durch das Gedankenexperiment des Verdoppelns:

Was passiert, wenn ich die eine Größe verdoppele? Verdoppelt sich die andere auch? Dann haben wir es aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer Proportionalität zu tun. (Halbiert sich die zweite Größe, ist es eine „umgekehrte oder indirekte Proportionalität“, die in eine direkte überführt werden kann, indem man den Kehrwert einer der beiden Größen bildet.)

Die meisten Naturgesetze stellen Proportionalitäten zwischen Ursache und Wirkung dar, manchmal sind sie nur mehrfach überlagert. Wir kennen das zum Beispiel vom Volumen: Es ist gleichzeitig der Länge, der Breite und der Höhe proportional, so dass beim ähnlichen Vergrößern eines Körpers die dritte Potenz des Maßstabes im Volumen erscheint. (Merke: Unabhängige Proportionalitäten mehrerer Ursachen multiplizieren sich!)

Das ist einfach zu verstehen, und doch gibt es immer wieder erstaunliche Missverständnisse, wenn man Größen verhältnismäßig (also „relativ“ zu etwas) oder absolut (unabhängig vom Verhältnis) verändert. Das ist der Grund für meine meisten schlaflosen Nächte, dass ich nach Beispielen gesucht habe, die endlich so überzeugend sind, dass meine Ingenieurstudenten endlich begreifen können, dass man mit dem Verständnis der Proportionalität über 90% der technischen Fragen lösen kann.

Faszinierendes und altbekanntes Geometrie-Beispiel:

Man legt einen Bindfaden um ein auf der Wiese liegendes Beton-Brunnen-Segment von 1 m Durchmesser, so dass er straff anliegt. Dann verlängert man ihn um 200 cm. Wie weit steht er jetzt schätzungsweise gleichmäßig vom Beton ab? Könnte man dazwischen spazieren gehen? Nun, man schätzt etwa 30 cm, und das richtige Ergebnis ist tatsächlich 32 cm. Spazieren gehen geht!

Jetzt wiederholt man den Versuch in Gedanken mit einer Kugel vom Erddurchmesser (etwa 12.000 km) und verlängert den Faden wieder um 200 cm. Wie weit steht dieser nun gleichmäßig ab? Kann man darunter hindurchkriechen? Man schätzt, dass man den Abstand nicht sehen kann, so klein muss er sein. Und doch sind es wieder 32 cm, so dass man tatsächlich darunter hindurchkriechen könnte!

Wo liegt der „Denkfehler“?

Abgesehen davon, dass es kein „Denkfehler“, sondern ein Schätzfehler ist, liegt er darin, dass man absolute und relative Größen vermischt hat. Natürlich sind 100 cm relativ sehr wenig gegen 12.000 km, aber 16 cm eben auch!

„Denken“ ginge so:

  1. Der Umfang eines Kreises ist das Pi-Fache des Durchmessers, der Radius also ein halbes Pi-tel des Umfangs.
  2. Das ist eine direkte Proportionalität, weshalb der Zusammenhang auch für Differenzen gilt (die Funktion hat überall den gleichen Anstieg!). 100 cm Umfangsdifferenz sind also IMMER (100 cm)/(2*Pi) = 16 cm Radiusdifferenz.

Noch schlimmer wird es, wenn Größen geschätzt werden sollen, die man nur schwer einschätzen kann. Dann werden sogar unsinnige „Spielregeln“ in Rate-Shows im Fernsehen angewendet, indem man beim Schätzen der Anzahl Erbsen in einem Konservenglas die Differenz zum richtigen Wert bewertet, statt das Verhältnis zu bilden. Beispiel: Im Glas sind 700 cm³ zarte Erbsen, also vielleicht 2000 Stück. Der erste Spieler rät 4000 Erbsen, der zweite rät 1 Erbse. Dann hat nach den Spielregeln der Differenz der zweite Spieler gewonnen obwohl er um den Faktor 2000 (aber um die Differenz 1999) daneben liegt der erste nur um den Faktor 2 (aber um die Differenz 2000).

Da wir die Intelligenz der Showmaster nicht erhöhen können, können wir mit unserer eigenen Intelligenz das Spiel entscheiden: Bei solch unsinniger Spielregel muss man immer etwas zu niedrig schätzen, um auf der sichereren Gewinnerstraße zu sein!

In der Technik oder Betriebswirtschaft bedient man sich oft relativer Größen, um Stoffe oder Zusammenhänge zu charakterisieren:

Dahinter stehen dann als lineare Funktionen formulierbare Zusammenhänge, wie zum Beispiel der Strahlensatz beim Verhältnis der absoluten Seiten ähnlicher Dreiecke, das Ohmsche Gesetz beim Zusammenhang zwischen absolutem Strom und absoluter Spannung usw. usf. Die relativen Größen sind die Proportionalitätskonstanten wie Leitfähigkeit oder Temperatur (zwischen absoluter Energie und absoluter Masse) oder Monatslohn (zwischen absoluter Gesamtarbeitszeit und absolutem Gesamtlohn).

Eine relative Größe ist auch der Schadstoffausstoß eines Fahrzeugs, nämlich bezogen auf die gefahrene Strecke. Die politische Debatte über Betrug bei der Angabe solcher Werte läuft völlig am vernünftigen Umweltziel vorbei, denn der Umwelt ist es egal, ob das „Auto eins“ mit dem halben relativen Schadstoffausstoß die doppelte Strecke fährt oder das „Auto zwei“ mit dem ganzen relativen Schadstoffausstoß die einfache Strecke. Die Debatte setzt stillschweigend voraus, dass alle tatsächlich gefahrenen Strecken sowohl mit Autos gefahren werden als auch überhaupt gefahren werden „müssen“. Es steht also nicht eine Prioritätenabwägung für die kontroversen Werte „freies Autofahren“ und „Umweltschutz“ zur Debatte, die zur personenbezogenen Obergrenze an Schadfstoffen pro Zeit (zum Beispiel pro Jahr) führen würde (auf deren Basis man dann Strecken und Motorisierung abwägen müsste), sondern ein politischer Schmusekurs, der immer absurder wird: Die Lobbyisten brauchen ja schließlich die Dicke-Autos-Industrie und die Kraftstoffsteuer.

Nur die absoluten Größen sind bedingungslos additiv (extensiv), die relativen nicht (intensiv).

Wenn man nach diesen einführenden Worten in die Proportionalität, die „Verhältnismäßigkeit“ also, erkannt hat, dass man mit Addition/Subtraktion und Multiplikation/Division alle ihre Zusammenhänge beherrscht, wird man verstehen, dass es ein riesiger Vorteil ist, wenn man die „Verliebten Zahlen“ (Pärchen der Summe 10) und das „Kleine Einmaleins“ einfach auswendig kann: Dann kann einen keine Überschlagsrechnung der Welt mehr schrecken.

Und  besser noch: Man ist nicht leicht übers Ohr zu hauen! (Man hat im Ernstfall einen „Selektions-Vorteil“…)

Anhang:

Winzigkleine Aufzählung typischer proportionaler Zusammenhänge

Ähnlichkeit (Geometrie: Längen bezogen auf Längen), abgeleitet davon z.B.: der Strahlensatz, die Winkel, indirekt dann die Winkelfunktionen

spezifische Größen (z.B. Physik: auf die Menge bezogene Eigenschaften), z.B.: Dichte, spezifische Wärme, spezifische Leitfähigkeit, Temperatur, …

physikalische, chemische, biologische Gesetze, z.B.: Newton (die Beschleunigung einer Masse ist der Kraft proportional), …

betriebswirtschaftliche und statisische Größen (aufs Ganze bezogene Anteile), z.B.: Zinssatz, Steuersatz, Rentabilität, …

 

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