Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


0. Vorwort: Relatives und Absolutes in der Harmonik

MAXIMAL-ZIEL: Einen „Titel“ richtig verstehen, denn dann kann man über ihn in jeder beliebigen Tonart improvisieren.

MINIMAL-ZIEL: Nach Noten und Harmonie-Hinweisen spielerisch einen Titel melodisch erweitern.

Für das Maximal-Ziel muss man einen absoluten und drei relative Bezüge spielerisch beherrschen:

– Die Töne der Tonleitern (und damit die Namen der Quinten im Quintenzirkel) sind absolut vorgegeben und mit Namen versehen (damit man kommunizieren kann! z.B. d-e-fis-g-a-h-cis‘-d‘ als D-Dur-Tonleiter).

– Die Intervalle sind relativ, nämlich Abstände innerhalb einer Tonleiter, und sie sind auch „benamst“! Die einfachsten Intervalle beziehen sich auf den Grundton einer Tonleiter, so dass man unabhängig von der Tonart Töne relativ benennen kann, z.B. d(Prime)-e(Sekunde)-fis(Terz)-g(Quarte)-a(Quinte)-h(Sexte)-cis'(Septime)-d'(Oktave)-e'(None)-fis'(Dezime) usw..

– Die harmonischen Bezüge sind relativ, nämlich auf die Grundtonart des Titels  bezogen oder auf den direkten Vorgänger, und sie lassen sich im Quintenzirkel abbilden. Ihre Namen sind vielfältig und fangen natürlichbeim Einfachsten an: Tonika für die Grundtonart, Dominante für die Quinte darüber, Subdominante für die Quinte darunter, Doppeldominante (Duodominante) für zwei Quinten (gleich ein Ganzton) darüber, Mollparallele (kleine Terz unter Tonika), Terzverwandte (große Terz darüber oder darunter), u.a.m.. Man kann dann so genannte „Rückungen“ auch direkt bezeichnen oder sogar „Stufen-Harmonik“ machen, indem man einfach in der Grundtonart den Dreiklang ohne zusätzliche Vorzeichen auf den vorgegebenen Tönen verschiebt.

Beim kopfgesteuerten Improvisieren muss einem also jederzeit klar sein:

Beim letzten Punkt muss ich mir gleichzeitig der harmonischen und kontrapunktischen Konsequenz meines Tuns bewusst (oder aus Erfahrung gefühlsmäßig sicher) sein, damit die nach folgenden Töne nicht ins Chaos führen, sondern den Zuhörer „mitnehmen“ können.

Aber fangen wir noch einmal langsam mit den Grundlagen an:

Die Töne unserer Tonleitern (Dur und verschiedene Moll-Formen) sind im abendländischen Kulturverständnis im Sinne einer „Wohltemperierung“ so festgelegt, dass die aus ihnen zu bildenden Intervalle („Abstände“ auf der logarithmierten Frequenzskala, gut ersichtlich übrigens an den gleich breiten Tasten einer Klaviatur) unabhängig vom Bezugston untereinander gleich sind.

(Bei anderen Instrumenten, wo schwingende Saiten- oder Luftsäulen-Längen verändert werden, sind die Abstände natürlich ungleich!)

Beispiel: Die Quinte g auf c soll den gleichen Tonabstand (=Frequenzverhältnis) haben wie die Quinte a auf d oder h auf e oder as auf des  oder gis auf cis usw. usf. Dass damit die Quinte nicht physikalisch „rein“ im Sinne eines Frequenzverhältnisses 3/2 sein kann, war schon Pythagoras bekannt:

sieben Oktaven = 2^7 = 128

12 Quinten = 3/2^12 = 129,75

Die Töne als solche sind dann absolut festgelegt, zum Beispiel die Frequenz für den „Kammer-Ton a“: 440 bis 443 Hz (je nach Land).

Die Intervalle sind relative Bezüge der Töne untereinander.

Die Tonarten (im Quintenzirkel unbedingt zu lernen!) sind selber also wieder absolut, ihre Bezüge untereinander kann man aber ebenfalls relativ darstellen, wie durch die hier zu behandelnden harmonischen Begriffe

als Beispiele.

Im Zusammenspiel der absoluten und relativen Dinge liegt der Reiz des „Universums Musik“, indem nämlich Mehrdeutigkeiten entstehen, die sich immer erst dann auflösen, wenn die Musik „weiter gegangen ist“. Das kann zur Sucht nach solchen Auflösungen führen, wie wir es an Menschen erleben, die ständig ihre Lieblingsmusik hören.

Diese Mehrdeutigkeiten sind das Werkzeug guter klassischer Kompositionen oder guter Jazz-Formationen. Wer sie verstanden hat, kann sie kreativ einsetzen. (Wer sie nicht verstanden hat, muss alles entweder wie ein Dressur-Pferd auswendig lernen oder sich durch ständiges Wiederholen unterbewusst angewöhnen und ist dann leider nicht in der Lage, gelernte Dinge auf andere Situationen zu übertragen, was mit verstandenen Dingen immer möglich ist.)

Das hier soll also eine kleine Anleitung zum „Verstehen“ werden.

Anfütterungs-Beispiel mit C-Dur-Anfang:

Nach einem Auftakt mit c-d wird die Terz e im 3/4-Volltakt im dritten Viertel in das e als Grundton der Terzverwandten E-Dur „verwandelt“ und entsprechend begleitet und geht dann in das e als Qunite in a-Moll über:

c‘->d‘ | e‘ -> e‘ -> e‘ | e‘ -> e‘ -> e‘ |

mit den beiden Unterstimme als Begleitung (erst die machen das deutlich!!)

– – | g-c‘ -> g-c‘ -> gis-h | a-c‘ -> a-c‘ – > a-c‘ |

Die Fortsetzung könnte dann in einem f‘ bestehen, das zur Subdominante F-Dur oder zur Stufe II d-Moll gehören könnte.

All das wird im Detail weiter unten besprochen werden, so dass es ein Anfänger nachvollziehen kann.

Ein anderes System (im Jazz und der „Minimalistischen Musik“ z.T. gebräuchlich) macht eine Mischung, indem die sogenannten Stufen-Akkorde einfach bei einer gegebenen Tonart die Töne

enthalten. Das ist für Anfänger relativ einfach, weil die Vorzeichen der Durchgangstöne keine Rolle spielen und das Klanggeschehen meist der Pentatonik (Fünf-Ton-Musik) ähnlich wird, die auch in anderen Kulturkreisen eine große Tradition hat.

Hier, in diesen kurzen Ausführungen für übungswillige Anfänger, soll vor allem von vornherein darauf hingewiesen werden, dass

am Ende eine unverzichtbare Voraussetzung für die Kommunikation in Bezug auf das Improvisieren hat.

Oft höre ich von Anfängern, dass das für sie viel zu kompliziert sei, dass sie nie frei improvisieren könnten. Gegenargument: Wer sich an ein schönes Urlaubserlebnis erinnert und seinen Freunden davon erzählt, spricht auch frei, und zwar in Wörtern und ganzen Sätzen, und nicht nur in Lauten, die einzelnen Buchstaben entsprechen.

Genauso werden beim Improvisieren aus Tongruppen „Wörter“ und aus der systematischen Aneinanderreihung von Wörtern nach grammatischen Regeln „Sätze“, also in der Musik dann A-Teil und B-Teil eines Songs. Das muss man üben, wie man das auch beim Sprechen-Lernen getan hat. So gesehen ist die Musik also eine Fremdsprache, die man erlernen kann.

Das bloße Auswendiglernen eines vorgegebenen Musikstücks ist auch schon eine große Leistung, findet aber auf einer Ebene mit der mechanischen Automatisierung statt, ohne dass dabei eigene Gedanken strukturell eingeordnet werden müssen.

Hier (in allen nächsten Unterpunkten oder Abschnitten) geht es also um das Verständnis „grammatischer“ Regeln für das freudbetonte Improvisieren.

Viel Spaß beim Studieren und Nachmachen und Bessermachen!!!

In drei Schritten soll das geschehen:

1. werden die Modulationen weg von der Tonika behandelt, wobei jeweils mindestens Ton des Dreiklangs erhalten bleiben soll, und die Veränderungen des anderen möglichst klein sein sollen (die Rückkehr zur Tonika – „Kadenz“ genannt – wird ebenfalls behandelt)

2. werden Modulationen ohne bleibenden Ton des Dreiklangs behandelt, die auch als „Rückung“ bezeichnet werden können (der Übergang ist fließend, wiel man ja bleibende Töne abseits des Dreiklangs mitnutzen kann, wie Quarte, Sexte oder große Septime zum Beispiel)

3. werden „Sequenzen“ beim Modulieren behandelt

und anschließend werden besonders interessante Beispiele aus der Literatur „harmonisch analysiert“.

 

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