Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


4.0.2 Grandiose Trugschlüsse der Wissenschaft

Um zu zeigen, dass Trugschlüsse nicht einfach nur „menschlich“ sind und im Alltag vorkommen, kann man in die Geschichte der Wissenschaft gehen und Beispiele suchen, wo Trugschlüsse in grandiose Hypothesen münden, die dann Jahrhunderte diese Wissenschaft dominiert haben.

Beispiel 1: Ptolemäisches Weltsystem

Schon in der Antike lagen Beobachtungen des Himmels vor, die jahrhundertelang akribisch aufgezeichnet worden sind. Warum tat man das? Erstens war der wirtschaftliche Erfolg von Kenntnissen über die Regelmäßigkeiten der meteorologischen Erscheinungen abhängig. Dabei hat man Zusammenhänge mit astronomischen Erscheinungen erkannt. Als Luxus hat man sich erlaubt, die astronomischen Erscheinungen untereinander nach Mustern abzusuchen, um „göttliche“ Gesetze zu finden. („Wissen ist Macht“!)

Man konnte ohne großen wissenschaftlichen Aufwand (also durch bloße Wahrnehmung mit den menschlichen Sinnen und durch fleißige Notierung derselben) feststellen, dass

– die Sonne täglich aufgeht und untergeht (so ist ja schließlich der „Tag“ als Zeiteinheit definiert)

– die tägliche Sonnenscheindauer (oder besser gesagt die Zeit zwischen Sonnenauf- und -untergang) periodisch schwankt (so ist schließlich das „Jahr“ als Zeiteinheit definiert)

– die Mondphasen in keinem einfachen rationalen Verhältnis zu Tag oder Jahr stehen, aber eine eigene feste Periode bilden (der „Monat“ als Zeiteinheit ist dem nur ungefähr angepasst, aber als Zwischenglied für „Tag“ und „Jahr“ praktikabel und noch heute für die Datenverarbeitung schwierig und oft auf konstant 30 Tage vereinfacht, was wiederum die Beziehung zum „Jahr“ kompliziert macht…)

– die Sonne sich im Jahresrhythmus vor dem Fixsternhimmel bewegt

– einige „Sterne“ als „Wandelsterne“ („Planeten“) eigene Rhythmen haben

– die Höhe der Fixsternbilder über dem Horizont jahreszeitlich schwankt

Wenn man der Auffassung ist, dass göttliche Gesetze als „schön“ und „einfach“ erkannt sein müssen, um „wahr“ sein zu können, so wird man versuchen, alle beobachteten („wahrgenommenen“) himmlischen Bewegungen über Kreise und Kugeln (als Formen der höchsten Symmetrie) zusammensetzen zu können.

Die Fixsterne bilden also die um die Erde rotierende Himmelskugel, Wandelsterne, Sonne und Mond bewegen sich auf eigenen Kreisen, indem sie sich auf anderen rotierenden Kugeln befinden (eine Art „Schalenmodell“).

Nun gibt es aber bei den Wandelsternen deutliche Abweichungen von einfach zu verstehenden Kreisen, am schlimmsten sind dabei die „Schlaufen“ vom Mars (und vom Jupiter, wenn man mehr Zeit investiert…). Mit viel Geschick kann man diese Schlaufen durch die Überlagerung von Sphären (im einfachsten Fall von Kreisbewegungen in der Ebene) realisieren.

Geht man der Sache auf den Grund, findet man aber etwas, das sehr verblüffend ist:

Die Schlaufen der Wandelsterne geschehen immer in Opposition zur Sonne, und immer aber an neuem Ort (bezogen auf die Fixstern-Himmelskugel)!

Die Schlaufen der roten Marsbahn entstehen immer in Opposition zur gelben Sonne (ca. sieben Schlaufen aller fünfzehn Erdenjahre, also etwa 8 siderische Marsjahre auf 15 siderische Erdjahre, das wäre ein Verhältnis von 1,875 statt tatsächlichem von 1,881 ). Blaue Erde im Mittelpunkt. Video-Still aus meinem Demo-Programm für eine Vortrags-Reihe bei der Dresdner Palitzsch-Gesellschaft.

Diese Kopplung der Stellung aller gedachter Radien der jeweiligen Zusatzkreise (Zyklozykloiden) zur jeweilgen Sphäre muss man nun mechanisch erklären können, wie man es aus der Getriebetechnik (Antriebe mit hölzernen Zahnrädern) kennt, falls man sie nicht zum „Zufall“ und somit als „teuflisch“ statt „göttlich“ erklären will. Die verschiednen Himmels-Sphären müssen somit fest gekoppelt sein, und das geht schließlich nur dann unsichtbar, wenn es kristallene Sphären sind.

Das alles ist ein gutes Beispiel dafür, wie der ideologische Zwang zur Einhaltung übergeordneter Überzeugungen dazu führt, dass Modelle der realen Umwelt komplizierter werden als eigentlich notwendig, und dass diese Kompliziertheit selbst sogar als „Beweis“ für die Ideologie gelten kann: Hier ist es ein Beweis für die unendliche Schöpfungskraft, dass so viele Idealfiguren (Kreise) auch noch gesetzmäßig miteinander verknüpft sind.

Gute Uhrmacher waren in der Lage, solche Planeten-Konstallationen mechanisch zu realisieren.

Heute wissen wir, dass die Erklärung einfacher ist: Die Verknüpfung der jeweiligen Stellung der Zusatzkreise aller Planeten mit der Verbindungslinie Erde-Sonne im ptoleäischen System ist ja gerade der Hinweis darauf, dass die Sonne eine zentrale Stelle einnehmen muss. Über viele Jahrhunderte hinweg lieferte aber das  viel kompliziertere ptolemäische Weltbild die Basis für Voraussagen, deren Exaktheit den damaligen Erfordernissen gerecht geworden ist.

(Interessant ist, dass ausgerechnet ein Künstler – Bertolt Brecht im „Leben des Galilei“ – die ästhetische Seite der Medaille anführt: Wenn schon Gott die Planetenbahnen so kompliziert wie bei Ptolemäus eingerichtet hätte, dann hätte er auch das menschliche Gehirn so eingerichtet, dass es diese als „einfachste“ – und also natürlichste oder „göttlichste“ –  Bahnen ansehen würde. So aber sei nun „des Kippernikus sein Drehen“ am wahrscheinlichsten wahr.)

Aus heutiger Sicht ist die Transformation des heliozentrischen ins geozentrische System (was ja nun tatsächlich unser Beobachtungs- oder Wahrnehmungs-System ist!!) leicht zu bewerkstelligen, wenn man einfach die Verbindungs-Vektoren zwischen Erde und den Planeten (hier der Mars) überträgt:

Darstellung der Mars-Schlaufe durch Koordinaten-Transformation der Verbindungslinien vom kopernikanischen ins ptolemäische System

Im ptolemäischen System wird der Mars innen von der Sonne überholt, wenn er im kopernikanischen in Opposition zur Erde steht:

Der Moment des Überholens ist rechts im ptolemäischen System die letzte (Drehungen links herum!) unterbrochene Verbindungslinie (von da ab wird erst die Sonne und dann die Linie geschrieben) und links im kopernikanischen die genau durch die Sonne gehende Linie.

Erst Galilei fing zu zweifeln an, als er im Unterschied zum einfach zu beschreibenden Erdmond-Umlauf (eigene unabhängige Sphäre) nun neben den äußeren Planeten auch noch die Jupitermonde auf Epizyklen nageln sollte, und zwar um die selbst schon epizyklische Jupiterbahn! Er zetrümmerte mit seinen Gedanken Jahrhunderte alte Denk-Gewohnheiten, die zu in der Praxis bewährten Gewissheiten der „Kristallsphären“ geworden waren. (Er näherte sich damit Kopernikus, ohne aber den Schritt zu Kepler gehen zu wollen, da er als Physiker auch noch „Ursachen“ einbeziehen wollte, die er aber nicht erkannte.)

Galileis Schwerkraft-Parabel-Experimente konnten noch nicht das Gravitationsgesetz in allgemeiner Form zeigen, waren aber ein wichtiger Vorbereitungs-Schritt für Newton und Leibniz. Um so bemerkenswerter ist die Leistung von Kepler, der schon vor Newton durch perfekte Daten von Tycho Brahe und durch geniale mathematische Hypothesen die Planetengesetze (ohne jegliche Physik von Kraft, Impuls, Drehimpuls, Energie!!!) „gefunden“, also „entdeckt“ hat.

Man hat heute keine Vorstellung mehr davon, welche Ausdauer in akribischer (und verlachter!) Arbeit ein Mensch haben muss, um wie Kepler solch ein Ziel mit Erfolg zu erreichen.

(Es sollte nicht die letzte „Zertrümmerung von Gewissheiten“ in der Wissenschaftgeschichte bleiben…)

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