Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


Differenzieren und Integrieren – wozu ist das gut?

(letzte Änderung: 17.08.2018)

Mathematik ist die Wissenschaft von den formalen Zusammenhängen in der Natur.

Das einfachste dabei ist das Vergleichen von Mengen: Wer hat mehr Beeren gesammelt, du oder ich?

Dazu muss man zählen können, wozu man vorher den Mengen „Namen“ (Zahlen) gegeben haben muss.

Um Mengen zusammenfassen zu können, hat man das Addieren („Zusammenzählen“) erfunden, um eben NICHT neu zählen zu müssen. Man merkt sich einfach die wenigen Grundaufgaben der Addition (in Deutschland also im Dezimalsystem die einstelligen) und setzt aus diesen dann alle komplexeren Additionen zusammen.

Um gleich große Mengen zusammenzufassen, hat man eine weitere Abkürzung erfunden: Das Multiplizieren.

Auch das kann man wieder mehrfach machen und also wieder abkürzen: Das Potenzieren kommt dabei heraus.

Aber im Grunde ist alles nur geschicktes Zählen.

Dann kann man natürlich die Beeren auch wägen und die Massen vergleichen. Das ist schon etwas abstrakter.

Oder man teilt die Beeren (oder besser Kürbisse) und erhält das Bruchrechnen.

Oder man verleiht Geld und erfindet die negativen Zahlen.

Oder man will die Potenzen zurückrechnen auf die Basis und erhält bei negativen Potenzen die komplexen Zahlen.

Oder man will Werte, die sich gesetzmäßig ändern, durch dieses Gesetz beschreiben und erfindet die Funktionen.

Da kommt dann die Lust auf, danach zu fragen, wann sich die Funktionswerte am meisten oder am wenigsten ändern oder wann sich die Änderungsrichtung umkehrt. Und: Kann man auch die Änderung der Funktion als Funktion darstellen? So kommt man zum Differenzieren!

Und wenn man nur die Änderungsfunktion kennt und sich aber für das Ergebnis nach einer bestimmten Zeit interessiert, was dann? Dann integriert man die Änderungsfunktion – ganz einfach!

Macht man das konkret, fängt man am besten mit der Untersuchung einfacher ganzer Zahlen an.

Man zählt: 1, 2, 3, 4, …

Jedes Mal ist die Änderung 1, denn man zählt ja immer 1 weiter. Das ist so trivial, dass man gar nicht darauf kommt, dass das etwas Besonderes sein könnte. Ist es ja auch wirklich nicht.

Wenn man also 4 mal 1 zur Null hinzugefügt hat, so ist das Ergebnis 4. Klar. Jetzt haben wir integriert.

Nehmen wir die Quadratzahlen:

0, 1, 4, 9, 16, 25, 36, …

Ihre paarweisen Differenzen sind:

1, 3, 5, 7, 9, 11, …

Das ist erstaunlich, wir erhalten eine Folge mit den paarweisen Differenzen 2.

Das heißt im Umkehrschluss, wenn wir zur 1 solche Zahlen addieren, die jeweils um 2 größer als der verherige Summand sind, erhalten wir die Quadratzahlen!

Geometrisch ist das klar:

Will ich ein gegebenes Quadrat der Seitenlänge von n Teilchen vergößern, muss ich einmal n und dann noch einmal n+1 Teilchen hinzufügen, um das Quadrat der Seitenlänge von n+1 Teilchen zu erhalten. Da aber n+n+1=2n+1 immer ungerade ist, ergibt sich die Folge der ungeraden Zahlen als Differenz der Quadratzahlen! (Natürlich geht das auch theoretischer: (n+1)² = n² + (2n +1).)

Wie ist das nun mit den Kubikzahlen?

0, 1, 8, 27, 64, 125, 216, 343, …

Ihre Differenzen sind 1, 7, 19, 37, 61, 91, 127, …

Das sieht chaotisch aus.

Mitteln wir zwei benachbarte Differenzen, so erhalten wir, wenn wir auch die 0 mit verwenden:

4, 13, 28, 49, 76, 109, …

Durch „scharfes Hingucken“ erkennt man, dass das das um 1 vermehrte Dreifache der Quadratzahlen ist:

4 = 3*1+1

13 = 3*4+1

28 = 3*9+1

49=3*16+1

76 = 3*25+1

109 = 3*36+1

usw. usf.

Man darf nun schließen (und ausprobieren!), dass das mit den weiteren Potenzen auch so hinhaut.

Wir machen noch einmal die Probe mit den Quadratzahlen:

Die gemittelten Differenzen sind dann:

2, 4, 6, 8, 10, 12, …

also das Doppelte der ganzen Zahlen, was ja deren Basis ist.

Daraus kann man den Schluss ziehen, dass das Differenzieren und Integrieren von Potenzen ungefähr so funktioniert:

Allgemeine Gesetze für die Potenzen (Ausnahme siehe weiter unten):

Differenzieren von (x hoch n) ergibt n*(x hoch (n-1))

und

Integrieren von (x hoch n) ergibt 1/(n+1)*(x hoch (n+1)).

Nun basteln wir uns eine zusammengesetzte Funktion, die genau diese Erkenntnis nutzt:

y = 1 + x + x²/2 + x³/6 + … + (x hoch n)/n! + …

(n! ist die Fakultät = 1 * 2 * 3 * … * n)

Differenziert man diese Funktion, ist sie mit sich selbst identisch!! (Beim Integrieren bis auf die Konstante, die man aber anpassen kann, ebenfalls!)

Wir haben also eine Funktion gefunden, die der „Differentialgleichung“

y = y‘

genügt, wenn y‘ die „Ableitung“, also die Anstiegsfunktion von y, darstellt. Sie ist identisch mit der „natürlichen“

Wachstumsfunktion y = (e hoch x)

mit der „natürlichen“ Basis e=2,71828…, also mit einer „Exponentialfunktion“.

Für die Erfüllung der Differentialgleichung

y = -y‘

brauchen wir die Ausgleichsfunktion, in der lediglich die unabhängige Variable gespiegelt ist, also negativ:

y = 1 – x + x²/2 – x³/6 + … + ((-1) hoch n)*(x hoch n)/n! + …

y = 1 – x + x²/2 – x³/6 + … + ((-x) hoch n)/n! + …

Damit ergibt sich natürlich auch, dass diese beiden Funktionen der Gleichung

y = y“

genügen, also ihrer eigenen zweiten Ableitung gleich sind.

Man kann weitere sehr spannende Sachen mit dieser Funktion machen:

1. Wir teilen die Summanden der so genannten Taylor-Reihe in die geraden und ungeraden auf und erhalten die Hyperbelfunktionen

cosh(x) = 1 + x²/2 + … + (x hoch 2k)/(2k)! + …

sinh(x) = x + x³/6 + … + (x hoch (2k+1))/(2k+1)!

Sie erfüllen natürlich ebenfalls die Differentialgleichung

y = y“

nicht aber die

y = y‘

Dafür ergibt sich aber folgender Wechsel bei der ersten Ableitung:

cosh'(x) = sinh(x)

sinh'(x) = cosh(x)

2. Für die normierte Schwingungsgleichung

y = -y“

müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen:

Wir müssen die Vorzeichen der Summanden beider Reihen oszillieren lassen und erhalten die altbekannten Winkelfunktionen:

cos(x) = 1 – x²/2 + (x hoch 4)/4! – (x hoch 6)/6! + … + ((-1) hoch k)*(x hoch 2k)/(2k)! + …

sin(x) = x – x³/6 + (x hoch 5)/5! – … + ((-1) hoch (k+1))*(x hoch (2k+1))/(2k+1)!

Nun ergibt sich folgender 4-er-Kreis bei der ersten Ableitung:

sin'(x) = cos(x)

cos'(x) = -sin(x)

-sin'(x) = -cos'(x)

-cos'(x) = sin(x)

(Eleganter geht der 4-er-Kreis natürlich mit komplexen Zahlen, weil gilt: i² = -1 und also (i²)² = 1)

Für die technisch typischen Fälle des Differenzierens und Integrierens braucht man nun nur noch den „Sonderfall der Potenzen“ im o. a. allgemeinen Gesetz, nämlich den natürlichen Logarithmus:

(x hoch (-1)) = 1/x wird integriert zu ln(x)

ln(x) wird differenziert zu 1/x

Wer das Integrieren und Differenzieren weiter vertiefen will, sollte unter folgenden Stichworten studieren:

Kettenregel des Differenzierens, innere Funktion

Produktregel des Differenzierens

bestimmte und unbestimmte Integrale

totales Differential

(Auf diesen Seiten gibt es weitere Informationen und Anregungen unter Transport, Schwingung, Ausgleich.)

Zusammenfassung:

Alle natürlichen Vorgänge enthalten zeitliche Änderungen, die von den jeweiligen Umständen abhängig sind. Genau das beschreibt man mit so genannten „Differentialgleichungen“, bei denen die Änderungsgeschwindigkeit ihren Ursachen proportional zugeordnet wird. Integriert man diese Zusammenhänge, erhält man den Zeitablauf des Vorgangs.

So einfach das klingt, so komplex ist es im wahren Leben. Dann helfen numerische Methoden und Näherungen oder aus einfachen Fällen zusammengesetzte Lösungen („Superpositions-Prinzip“).

 

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