Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


1.2.3 Zweidimensionaler zellulärer Automat „8 ergeben 1“ (2-8-er Universum) als Conways „Spiel-des-Lebens“

Frage:

Kann die Einbeziehung weiterer Nachbarn im Zweidimensionalen (neben den allernächsten) neue Strukturen ermöglichen?

Lässt man statt der alleinigen Beeinflussung über die vier Quadratseiten auch eine Beeinflussung „über Eck“ zu, so hat eine quadratische Zelle 8 Nachbarn. Bei diesen Universen wird die eigene Existenz der Zelle nicht mitgezählt, sondern ist Anfangs-Bedingung fürs „Überleben“ oder Ergebnis der „Neubildung“.

Nun kann man wieder Überlebens- und Neubildungs-Bedingungen aus den Lebenden unter den 8 Nachbarn definieren.

Wieviele Varianten für diese Bildungsbedingungen gibt es jetzt?

Die 8 Nachbarn können 2 hoch 8 = 256 verschiedene Strukturen bilden. Für diese lassen sich dann 2 hoch 256, was rund 10 hoch 77 ist, also dezimal eine 1 mit 77 Nullen, veschiedene Regeln bilden. Diese alle auszuprobieren hatte ich noch keine Zeit…

Man beschränkt sich aus physikalischen Gründen der Ununterscheidbarkeit der Nachbarn zum Beispiel für reine ODER-Abfragen, dann gibt es nur noch sehr wenige Varianten, nämlich 2 hoch 9 (die Reihenfolge der ODERs von 0 bis 9 spielt nämlich keine Rolle), das heißt 512 Stück fürs Werden. Und genauso viele fürs Bleiben, macht das Quadrat davon, sind also nur etwa 0,25 Millionen verschiedene Bildungsregeln für jede einzige Nachfolgerzelle. Kein Problem, oder?

Eine günstige Schreibweise dieser eingeschränkten Auswahl unter den Möglichkeiten der Regeln für das „Werden“ neuer „X“ oder das „Bleiben“ alter „X“ ist die Aufführung aller ODER-Abfragen in einer Klammer: Zuerst vor dem Schrägstrich alle fürs Bleiben und dann nach dem Schrägstrich alle fürs Werden.

Beispiel: Regel (234/2456) bedeutet dann, dass alle Zellen X mit genau 2 oder genau 3 oder genau 4 Nachbar-X als X bestehen bleiben und dass alle Zellen O mit genau 2 oder genau 4 oder genau 5 oder genau 6 Nachbar-X zu X gewandelt werden.

(Der CODE wird etwas komplexer in der Fallunterscheidung; am besten man zählt erst und unterscheidet dann…) Auch hier erlebt man statische, oszillierende, vielphasig schwingende oder sich bewegende Strukturen. Viele Leute haben sich schon damit beschäftigt und ganz besondere Startsituationen gefunden, die entweder toll aufblühen und dann im Nichts oder im Oszillieren vergehen. Mir hat bei Anwendung der Regel (23/3) am besten die „Gleiter-Kanone mit Gleiter-Fresser“ gefallen, die einen 30-taktigen Rhythmus hervorbringt:

Gleiter-Kanone aus Conways „Spiel des Lebens“ in VB mit Standard-Oberfläche dieser Abhandlung (X oder Leerzeichen alphanumerisch) nachgemacht

In der inzwischen gewohnten Darstellung des Zeitablaufs ausgewählter Zeilen sieht das dann so aus:

Zwei Perioden der Gleiter-Erzeugung und -Vernichtung in der „Seitenansicht“

In der neueren grafischen Ansicht sieht der „Film“ als Galerie daa so aus, dass ein 15-er Rhythmus Gleiter erzeugt, die nach 30 Takten wieder vernichtet sind (2 Gleiter sind zur selben Zeit von links oben nach rechts unten unterwegs, die beiden oberen „Kanonen-Figuren“ sind nach je 15 Takten gespiegelt, die Fresser-Figur hat einen 15-er-Takt!). In der folgenden Galerie kann der Ablauf in 33 Takten verfolgt werden. (Auf das erste Bild klicken und mit „Pfeiltaste rechts“ Bildfolge ansehen! Leider sind die Bildausschnitte nicht ganz deckungsgleich, es „wackelt“ etwas… Bild 31 ist dann wieder identisch mit Bild 1 usw. usf.)

Die einfachen Gleiter (seltener die größeren Raumschiffe) kommen auch bei stochastischem Start vor. Besonders schön sind Kollisionen eines Gleiters mit einem statischen Quadrat (links oben in der unten aufzuklappenden Galerie!), die eine Riesen-Raute auf- und verblühen lassen: Vier Samenstände blieben von der Riesen-Raute stehen (hier die 34-teilige Folge) bis auch die vielleicht einmal von Gleitern vernichtet werden

Galerie 2 ansehen

Das ist schon ein schönes Spiel, der Befruchtung, dem Aufblühen und dem Erzegen von bleibenden „Samen“ zusehen zu können…

Eine der spannendsten Regeln ist die Regel 1(mod2), also alle ungeraden Zahlen von 1 bis 7 (oft auch geschrieben als (1357/1357). Egal, ob die Zelle leer oder voll ist, im nächsten Takt ist sie voll, wenn sie im vorigen ungerade Nachbarn hatte. Hier ergibt sich für viele Objekte eine „Kopierfunktion“ nach 8 oder 16 Takten (nach etlichen Takten mit undurchschaubarem „Chaos“). Das könnte bis ins Unendliche gehen, wenn nicht im konkreten „Spielfeld“ ein Rand existierte oder der Rand zum Torus geknüpft ist. Was aber am erstaunlichsten ist: Selbst Beeinflussung durch den Rand kann etliche Takte später wieder ausgeglichen sein (zumindest in dem Sinne, dass die Anfangsfigur wieder erscheint, wenn auch zum Teil gespiegelt oder gedreht)!

Aus Platzgründen jetzt klein dargestellt:

„Kopier-Regel“ auf zwei nicht spiegelsymmetrische Startmuster angewendet

Um weitere solche Spielchen treiben zu können, habe ich mir eine Ausschnitt-Kopier-Funktion eingebaut (um zufällige Schmäckerchen isoliert weiterbearbeiten zu können) und eine Gesamt-Kopier-Funktion, um ohne Überlastung des Arbeits-Speichers meines PCs neue Zeit-Tausender ablaufen lassen zu können. Außerdem habe ich eine Maske zur erstellung von Ausgangsfiguren hinzugefügt.

Hier zwei Entwicklungsmöglichkeiten eines einfachen Herzens unter zwei verschiedenen Umweltbedingungen:

Wachstum eines Herzens unter zwei verschiedenen Regeln

Diese einfache Symmetrie (eine einzige Symmetrielinie im Gegensatz zu den zwei bei der Raute) ermöglicht es relativ leicht, den Zusammenhang zwischen Vorwärts-Determination und Rückwärts-Vieldeutigkeit zu begreifen, denn die Figur 8 kann aus verschiedenen Vorgängern entstehen:

Fünf verschiedene Ausgangskonfiguratinen für den gleichen Takt Nr. 8

Andererseits ist es spannend, die gleiche Ausgangsfigur verschiedenen Abbildungs-Regeln zu unterwerfen:

Raute unter zwei Regeln

Weitere Rauten und ein Hirschkäfer

Am einfachsten geht dieses Ausprobieren natürlich, wenn man die Eingabe-Möglichkeiten durch ein entsprechend frei beschreibbares Feld erweitert. Mit 77 Zeichen (11 breit, 7 hoch) kann man z.B. zwei Pixel-Buchstaben 6 x 5 mit Lücke einbauen. Bei „JA“ (meine Initialen!!!) lebt das Ganze mit (23/3) über 1699 (!!!) Takte, bevor die letzte Riesenraute erstarrt!

Meine Initialen JA in der Weiterentwicklung einer einfachen Standard-Regel bis zur Riesenraute (JA: Raute – Raude – Rowdy – …)

Erweitert man den Regelvorrat generell auf eine beliebige Auswahl von (012345678/012345678), so kann man zum Beispiel bei (124…8/3) eine Birke im Stadium 201 der Start-„42“ sehen:

Start „42“ unter erweiterten Regeln

Antwort:

Ja, es entstehen völlig neue Klassen von Objekten: Gebärer und Fresser, zitternde Wanderer (diagonal und achsparallel).

Nach dieser quasi ins Unendliche erweiterten Regelmöglichkeit erhebt sich nun die Frage, ob man nicht endlich von der alphanumerischen zu einer grafischen Darstellung übergehen will und das zweidimensionale Kristallwachstum ins Auge fasst?

Genau. So geht’s im nächsten Abschnitt weiter, bevor dann das Dreidimensionale kommt.

 

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