Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


„Aus Symmetriegründen“ – Zaubersatz der Physiker

Sehr oft hat man diesen Satz gehört, wenn Physiker etwas erklären:

„Aus Symmetriegründen ergibt sich: …“

Das klingt immer wie ein geometrischer Beweis aus der Schule oder es stinkt sogar nach Faulheit. Das ist es auch wirklich, denn eine erkannte Symmetrie schränkt die Vielfalt der Lösungsmöglichkeiten ein bzw. vereinfacht die schematische Darstellung der Lösung, spart also tatsächlich Aufwand. „Faul sein dürfen muss man sich erarbeitet haben“, indem man dieses Werkzeug beherrschen gelernt hat.

Was ist Symmetrie? Im einfachsten Fall ist Symmetrie geometrisch gemeint. Es existiert z.B. eine Gerade, eine Ebene oder ein Punkt, welche in der Mitte der Verbindungslinie zwischen zwei „symmetrischen“ Punkten liegt. Diese Punkte bilden dann ein symmetrisches Paar, und davon kann es beliebig viele geben. In der Schulgeometrie haben wir zum beispiel das gleichschenklige Dreieck kennengelernt, das eine Symmetriegerade (manchmal „Symmetrieachse“ genannt) hat, von der es in zwei Dreiecke geteilt wird, die spiegelsymmetrisch zueinander sind, also die gleiche Fläche und die gleichen Stücke haben.

Das symmetrischste dreidimensionale Objekt ist die Kugel, im Zweidimensionalen ist das der Kreis.

Lässt man abstrakte „Spiegelungen“ zu, so bezieht man den Begriff „Symmetrie“ auch zum Beispiel auf die Zeit. Wenn eine Gleichung, die einen physikalischen Zusammenhang beschreibt, bei der Ersetzung von t (Zeit) durch -t ihre Gestalt nicht ändert, sagt man, dass der Zusammenhang „invariant gegen Zeitspiegelung“ ist, was bedeutet, das der Prozess „vorwärts“ und „rückwärts“ gleich abläuft. Ein Beispiel ist die ungedämpfte Schwingung. Kommt eine Dämpfung hinzu, wie es in vielen praktischen Fällen geschieht, wird diese Symmetrie „gebrochen“, und ein Betrag der Energie, der bisher zwischen kinetischer und potentieller ausgetauscht worden ist, fließt z.B. als thermische Energie aus der Schwingung ab. (Gebundene Zustände in der Atomphysik werden deshalb gern als „stehende Wellen“, eine Form ungedämpfter Schwingung, beschrieben, zum Beispiel Elektronen-Orbitale in der Stereochemie.)

Eine schon sehr abstrakte Verallgemeinerung der Symmetrie ist die Konstanz, das heißt die Unabhängigkeit von einer Größe, die nur scheinbar mit dem Problem zu tun hat. Das treibt besonders in der Geometrie arge Blüten und eignet sich deshalb als Knobelaufgabe. Ich erinnere mich an eine Aufgabe der Mathe-Kreis-Olympiade Klasse 7 im Jahre 1962, die ungefähr so lautete:

Beweise, dass die beiden nicht an den parallelen Seiten eines Trapezes anliegenden Dreiecke, die von den Diagonalen und den Seiten gebildet werden, gleichen Flächeninhalt haben!

Hier ist im allgemeinen Fall tatsächlich keine geometrische Symmetrie von Teilen des Trapezes zu erkennen, außer der versteckten Symmetrie der Parallelität zweier Seiten. Nennt man die längere der parallelen Seiten „Grundseite“, so wird durch jede der Diagonalen ein Dreieck zu den gegenüberliegenden Ecken des Trapezes gebildet. Beide haben die gleiche Höhe über der Grundseite, denn sonst wäre es ja kein Trapez. (Parallelität bedeutet gleicher Abstand überall, und der Abstand wird senkrecht gemessen und die Höhe wird senkrecht gemessen.) Da die Dreiecksfläche das halbe Produkt von Grunseite und Höhe ist, sind diese beiden Dreiecke wegen der gleichen (identischen!) Grundseite und der gleichen Höhe flächengleich. (Hier steckt diese indirekte Symmetrie der Unabhänigkeit dahinter!) Beide Dreiecke enthalten das gleiche Dreieck über der Grundseite mit Spitze im Schnittpunkt der Diagonalen und je ein Dreieck über den nichtparallelen Seiten und wieter nichts. Akso müssen bei Gleichheit der großen Dreiecke auch die kleinen gleich sein, was zu beweisen war.

Es ist schon spannend, wie man die Flächengleichheit zweier Dreiecke, die kein Stück miteinander gleich haben, beweisen kann, wenn sie in eine größere Struktur eingebettet sind, deren Symmetrie einzig in der Parallelität zweier Stücke besteht.

Ich nuss diese Aufgabe mit 13 offenbar gelöst haben, denn ich erinnere mich an eine mündliche Aufgabenstellung beim Kaffetrinken nach  der Siegerehrung, bei der das Erkennen von existierenden oder fehlenden abstrakten Symmetrien von Bedeutung war:

Wer hat seine identische Kaffeetasse schneller auf Trinktemperatur, der die Milch sofort eingießt und dann wartet oder der wartet und dann eingießt?

Hier sollte man erkennen, dass es kein Kommutativgesetz (auch eine Form der Symmetrie!!) der beiden Teilprozesse gibt, weil der Wärmestrom von der Temperaturdifferenz abhängt. Auch wenn die Mischungs-Temperaturdifferenz später kleiner wird, verzichtet man auf die größere Kühlleistung am Anfang, wenn man sofort mischt. Diese Energiebilanzgedanken sollte man finden. Ich war sehr stolz, das eher als die höherklassigen Sieger gefunden zu haben und deren falsche Antwort korrigieren zu können. Ob meine Enkel solches Denken heute auch noch in der Schule lernen?

Schöne Beispiele zur komplizierten physikalischen Symmetrie der Kepler-Ellipse finden sich dort.

Auch in der Kristallografie sind Symmetrien das Salz in der Suppe.