Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


2.9 Erlebbare („sichtbare“ oder „hörbare“) Zeit-Strukturen: Rhythmen

Wenn sich ein räumliches Gebilde zeitlich rhythmisch verhält, so ist hinter dieser Schwingung ebenfalls eine „Ordnung“ zu vermuten, wenn auch abstrakterer Art. Wie kann man diese auf verallgemeinernde Weise beschreiben?

„Brandaktuelles“ Beispiel: Flackernde Kerze am Heiligabend.

Woher kommt die folgende Strophen-Struktur der tanzenden Kerzenflamme in einer Kugelkerze?

Mode 0: ruhig stehende Flamme

Mode 1: senkrecht schnell oszillierende Flamme oben

dto. unten

Mode 2: gebogen rotierende Flamme

dto. gegenüber


Eine Kugel aus Wachs wird „oben“ und „unten“ abgeflacht (Kugelkappen entfernt), so dass von ihrer Kugelsymmetrie nur eine einzige Rotations-Achse übrig bleibt, in welcher sich ein Docht befindet. Nun haben wir eine stabil stehende Kerze. Wenn der Docht eine Weile brennt (Im wesentlichen brennt natürlich das aus dem Docht verdampfte Wachs, das vorher durch die Hitze der Flamme verflüssigt worden ist und den Docht emporsteigen kann!), bildet sich eine Mulde aus, die nach einiger Zeit, wenn sie den Rand der Kerze erreicht hat, aber eine dünne Kugelschicht stehen lässt, was für sich gesehen schon eine schöne „Struktur“ bedeutet: Je weiter der Muldenrand von der Docht-Achse entfernt ist, desto schwächer wird die Wärmestrahlung, und je dünner die Restschicht Wachs wird, desto besser wird die Wärmeableitung nach außen.

Woher kommt aber nun das „Tanzen“ der Flamme? Und warum geschieht es in der oben dargestellten Strophen-Form? Was eine „Schwingung“ ist, ist in den Grundlagen besprochen worden. Wir müssen nun klären, wodurch der stabile Zustand bestimmt wird und was die rücktreibenden Kräfte sind, die ihn eben zum stabilen Zustand machen.

Das ist keine leichte Fragestellung, und es ist schon etwas Erfahrung von der Art vonnöten, die man in der Regelungstechnik sammeln kann.

Nach Weihnachten wird die Zeit sein, das hier aufzuschreiben. Jetzt muss ich erst einmal alle Aufmerksamkeit dem Lamm widmen, an dem sich 14 Personen erfreuen wollen.

Aber schon an schräg abbrennenden Kerzen erkennt man Unsymmetrien der Luftströmung:

Die Kerzenflammen zeigen – ganz ruhig stehend! – nach „außen“, weil von „innen“ mehr Luft zuströmen kann

dto.


Beim Bemühen um das Verstehen des Vorgangs muss man – wie immer – das Problem in Teile zerlegen und dabei aufpassen, dass man schon an das spätere Zusammensetzen der Teile denkt.

Vielleicht beginnt man erst einmal mit dem Idealfall, dem stillen Abbrennen einer optimal eingestellten Haushaltskerze? Dort wackelt die Flamme nicht (höchstens im fremd erzeugten Luftzug eines neugierig Vorbeigehenden zum Beispiel). Man nennt den Zustand, wo zwar Ströme vorhanden sind, aber sich an der Geometrie zeitlich nichts ändert, „stationär“. Idealerweise sollten wir hier das Koordinatensystem an den oberen Rand der Kerze heften, denn der bewegt ich, wenn auch langsam und mit konstanter Geschwindigkeit, abwärts.

Was bewegt sich noch, und zwar relativ zu ihm? Die Luft! Durch die heiße Flamme, die wegen ihrer im Vergleich zur kalten Luft geringeren Dichte nach oben steigt, strömt Kaltluft von unten ringsherum zu. Diese Luft nimmt am Verbrennungsprozess teil und wird nun selber zur heißen Flamme. Ihre Menge muss genau zur Menge des aus dem Docht verdampften Wachses passen, damit es kein Flackern gibt. Die Menge des aus dem Docht verdampften Wachses muss genau zu dem im Docht nachströmenden flüssigen Wachs passen. Die Menge des nachströmenden Wachses muss genau zur Menge des neu geschmolzenen Wachses passen. Die Wärmestrahlung der Flamme muss genau zur erfoderlichen Menge des neu geschmolzenen Wachses passen. Puh! Aber ganz offensichtlich lässt sich eine Kerze so dimensionieren, dass das klappt! Man darf zu Recht vermuten, dass es hier „regelnde“ Rückkopplungen geben muss, weil ein zufälliges Zusammenpassen aller Parameter sehr unwahrscheinlich ist. Und es ist ja wirklich ein Ursache-Wirkungs-„Kreis“, den wir oben aufgezeigt haben (von der Flamme bis zur Flamme)!

Die Stabilität eines Zustands prüft man am besten, indem man im Gedankenexperiment eine Störung anbringt und deren Auswirkung qualitativ (oder „halbquantitativ“ mit einfachen Kopfrechen-Faktoren) verfolgt. Wird dir Störung ausgeglichen, liegt Stabilität vor, entsteht eine Schwingung, gibt es Chancen auf Stabilität durch Parameter-Änderung, gibt es aber eine beschleunigte Fortbewegung vom Ausgangszustand, ist die Katastrophe schon nahe!

Wie wäre das hier?