Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


Eindeutigkeit?

Wer kennt sie nicht, die Sandriffel in der Ostsee (Fotos vom 30. März 2017 vom Darßer Weststrand bei sehr geringer Dünung)?

Wenn man nach der Antwort auf die Frage sucht, ob eine bestimmte vorgefundene Struktur eine bestimmte Vergangenheit haben muss, so ist man schon bei der Frage nach der Eindeutigkeit gelandet. Da gibt es schließlich verschiedene. Es gibt „eindeutig“ und „umkehrbar eindeutig“ („eineindeutig“). Zeitlich gesehen wäre das eine nur vorwärts und das andere vorwärts und rückwärts eindeutig – man kann es in Gedanken prüfen, wenn man es mit einer logische Schaltung (getaktet, also im Zeitablauf) vergleichen würde. Man weiß ja, dass sowohl UND als auch ODER rückwärts nicht immer eindeutig sind (das UND nur beim Ausgang 1 und das ODER nur beim Ausgang 0), nur das NICHT ganz allein allerdings doch.

Wir kennen das aus dem Alltag auch anders: Die biologischen Eltern sind eindeutig (UND-Funktion, wir sind als Nachkommen das Ergbenis 1): Der Stammbaum hat eine klare prinzipielle (duale) Struktur, die man nur einfach ausfüllen muss; er wird nur durch die Realität stets dann verzwickt, wenn man weit genug zurück geht und ein konkreter Vorfahre strukturell mehrfach auftaucht (auftauchen muss: denn die Zahl der theoretischen Vorfahren ist schon nach etwa 30 Generationen – 1000 Jahre – mit einer Milliarde weitaus größer als alle damals gleichzeitig lebenden Menschen auf der ganzen Welt). (Remember: Ausgänge dürfen erstens verzweigt werden und zweitens auf Eingänge, auch „rückwärtige“, gelegt werden!)

Die Darstellung der Nachfahren hingegen ist grafisch immer ein komplizierter Kompromiss. Wir lernen daraus, dass es hier KEIN Abbildungs-Gesetz gibt, das zu einer bestimmten STRUKTUR der Nachfahren führen MUSS.

Will man aber die Sandriffel im Wasser verstehen, so gibt es offenbar etwas, was über den statischen Eindeutigkeits-Begriff hinausgeht: Stabilität. Es ist nicht klar, welche exakte Riffel an welchem Ort entsteht, aber es ist offensichtlich, dass überhaupt welche entstehen UND dass sie bleiben können.

Und außerdem: Ihr konkreter Ort ist zwar nicht vorhersehbar, aber offenbar ist ihr Abstand untereinander kein Zufall. Ob man das verstehen kann?

Der allgemeine Test auf Stabilität ist die Störung. Störungen sind auf den Bildern ganz offensichtlich vorhanden, können aber die Riffel nicht gänzlich verhindern, sondern führen lediglich zu „Versetzungen“. Und außerdem: Am Rande des Riffel-Gebietes sehen diese etwas anders aus.

Wir haben es mit dem Phänomen der „Rückkopplung“ zu tun. Es gibt also eine indirekte zeitliche Verknüpfung zwischen der Struktur und ihrer selbst oder sogar zwischen der Struktur und ihrer Änderung.

Bis wir das lösen können, müssen wir ganz einfach anfangen.

Das soll mit Beispielen geschehen, die fast ohne Mathematik auskommen, aber viel Geduld erfordern.

Man kann am Ende auch eine philosophische Frage daraus machen:

„Natur = Chaos“, daraus folgt: „Ordnung (Struktur) = Gott“.

Oder:

„Natur = Gesetz (Ordnung)“, daraus folgt: „Chaos = unsichtbare Ordnung“.

Wir sehen, dass die beiden Sichtweisen auf die Natur die Gemüter trennen. Es hat am Ende wieder etwas mit der Natur der Zeit und dem Begriff „Ordnung“oder „Struktur“ zu tun:

Ein Ausgleichsprozess (linke Hand warm, rechte kalt, am Ende zusammengelegt beide lauwarm) ist gesetzmäßig vorwärts eindeutig wie ein ODER oder ein UND, aber rückwärts nicht aufklärbar, welche Hand warm gewesen ist und welche kalt: Aus einer „Struktur“ (Unterscheidbarkeit) ist ein „Chaos“ (Ununterscheidbarkeit) geworden. Die gleichen Gesetze aber führen dazu, dass beliebige chaotische Anfangszustände in gleichen geordneten Endzuständen landen können (siehe „zelluläre Universen“ oder „Riffel“). Soll das heißen, dass es nur unsere Sichtweise ist, die Ordnung und Chaos unterscheidet? Dass es nur einen weiteren (unbeachteten) Parameter gibt, der beides trennt? Oder dass es nur eine oberflächliche Denkweise ist, die die Moleküle eines Gases „chaotisch“ erscheinen lässt im Gegensatz zum kristallisierten „geordneten“ Zustand derselben Moleküle?

(Im Kristall gibt es eine ständige Wechselwirkung der Atome untereinander, ihr mittlerer Ort ist gesetzmäßig strukturiert, ihre Schwingungsenergie um diesen Ort aber unterliegt dem gleichen Mittelwertsatz wie die Bewegungsenergie der Gasteilchen, die nur ab und zu bei einem „Stoß“ etwas voneinander merken, also wechselwirken, nämlich in Abhängigkeit einer für die Gesamtheit – aber nicht für das einzelne Teilchen – eben aus diesem Mittelwert heraus definierbaren „Temperatur“. Ist das jetzt „menschliche“ Ordnung oder Gesetz der Natur??)

Kühne Gedanken führen dann bis zu politischen Fragen hin, die eine liberaldemokratische Meinungsfreiheit mit einer als alternativlos betrachteten Sach-Entscheidung vergleichen.

 

Kommentare

Joachim Oelschlegel am Mittwoch, 23. Februar 2022:

Lieber Herr Dr. Adolphi, Ihre polemische Frage „Ist das jetzt „menschliche“ Ordnung oder Gesetz der Natur??“ klingt zwar gut, aber mich stört das „oder“. Die logischen Verbinder „und, oder“ dürfen nur Sachverhalte gleicher Abstraktionsebene verbinden. Das gesetzmäßige Verhalten der Natur existiert unabhängig vom Denken über die Natur. Menschliches Ordnen ist bekanntlich Denken über die Natur.
Ich hege die Vermutung, dass alles in der Natur sich irgendwie invariant verhält, also Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Wenn sich jedoch mehrere Gesetzmäßigkeiten überlagern, erscheint uns dies als Chaos. Chaos wird es immer geben, weil der Kontext zu den Dingen in nahezu unendlicher Vielfalt variiert. Ein Glück, sonst würde alles nur determiniert ablaufen und die phantastische Vielfalt der Natur wäre nur Einfalt.
Hochachtungsvoll in tiefer Verbundenheit Ihr J1.

Joachim Adolphi am Mittwoch, 23. Februar 2022:

Lieber Herr Dr. Oelschlegel, Ihr Hinweis ist völlig in „Ordnung“. Es ist genau meine Absicht, mit dem „Oder“ den Prozess der sinnbildenden Abbildung ins Spiel zu bringen. Die Natur kennt keine „Ziele“ und keinen „Sinn“, wenn ein statistischer Ausgleichsprozess abläuft. Der Mensch, der einen tatsächlichen Prozess im Zeitablauf abstrakt darstellt, interpretiert dessen natürliche Gerichtetheit leicht als „Ziel“ (eines nicht vorhandenen Subjekts!) oder „Ergebnis“ einer Tätigkeit (eines nicht vorhandenen Subjekts!).
Genau das ist das Spannende an der Erforschung von „Strukturen“ in der Natur. In der unbelebten Natur finden wir immer eine Rückkopplung über den Energiesatz (und manchmal auch zusätzlich über die Entropie), in der belebten ist es etwas komplexer, weil es ohne Stabilitätsaspekte (und damit wiederum Rückkopplungs-Mechanismen) gar kein Leben gibt.
Noch ein Wort zu Ihrem Satz über die unabhängig vom Menschen existierenden Naturgesetze. Diese Gesetze betreffen häufig Zusammenhänge, die unserem Sinn nicht direkt zugänglich sind, die wir also nur indirekt aufdecken können: Im einfachsten Fall sind das Zusammenhänge, die durch Differentialgleichungen beschrieben werden, von denen uns aber nur die Ergebnisse ihrer natürlichen Integration sinnlich vorliegen. Im komplizierteren Fall sind das Zusammenhänge in Dimensionen (neudeutsch: „auf Skalen“), die unserer Erfahrungswelt völlig fremd sind: Quanten im Mikro-Kosmos und Relativität im Makro-Kosmos.
Es lohnt sich also schon, von der „menschlichen“ Ordnung zu sprechen, wenn wir damit den Grad der Erkenntnis meinen, der immer endlich sein wird und immer auch durch Ordnungs-Sehnsucht überlagert sein wird, also die Möglichkeit der Fehlinterpretation nicht ausschließt.
Deshalb gebe ich mir ja so große Mühe, alles hier Aufgeschriebene als Gedanken eines „Suchenden“ darzustellen. Schön, dass Sie mich auf dieser Suche nach – im menschlichen Denken abgebildeten – formalen Querverbindungen begleiten!
Mit Dank für Ihre Aufmerksamkeit Ihr J3

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