Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


4.3.3.5 The Beatles

Die englische Gruppe „The Beatles“ hat vor 60 Jahren Geschichte geschrieben, weil sie sowohl eingängige Musik-Elemente genutzt hat als auch daraus verblüffende Konstruktionen entwarf.

Um das zu verdeutlichen, nimmt man am besten den Titel „Yesterday“, weil man bei ihm viele der in vorangehenden Abschnitten behandelten Muster wiedererkennen kann. Da es hier – wie bei allen erfolgreichen Titeln der Neuzeit – x Varianten der Notation im Umlauf gibt, um auch Anfängern eine Spielmöglichkeit zu bieten, habe ich eine Mischung auf eigenem Notenpapier erzeugt, um das, was uns hier bewegt, möglichst genau beschreiben und erläutern zu können. (siehe auch Abschnitt G10!)

Man erkennt folgende „Muster“ (um „Muster“ geht es schließlich vorrangig auf dieser meiner Website!!) in dieser Komposition:

A-Teil

– Melodie-Rhythmus pendelt zwischen zwei Formen

– Melodie-Verlauf pendelt zwischen zwei Formen

– Begleit-Harmonie-Rhythmus pendelt zwischen zwei Formen

– Begleit-Harmonie-Struktur pendelt zsiechn zwei Formen

Im einzelnen:

Die Melodie beginnt auf dem Volltakt mit einem Sekund-Vorhalt und produziert damit sogleich einen Zwischenschluss, bevor man richtig mitfühlen kann. Dadurch wir die Erwartungshaltung geschärft, wie es denn nun in der Tat weitergehen könnte! Im Takt 2 geht es verzögert (erst im zweiten Vieretel!) dann mit einer ansteigenden Tonleiter in der oberen Dur-Terz-Verwandten („Sprung“ von F-Dur zu A-Dur!) weiter, die im Takt 3 wieder mit einem Sekund-Vorhalt zur Prime der zu F-Dur parallelen Molltonart d-Moll führt, die als neue Neben-Tonika zur Dominante A-Dur aufgefasst werden kann, was wieder den Eindruck eines Zwischen-Schlusses erweckt. Dieser wird im Takt 4 durch die wiederum verzögert beginnende absteigende Tonleiter zum Quartvorhalt der Haupt-Tonika F-Dur im Takt 5 aufgehoben. Damit hat sich der „harmonische Modulations-Kreis“ geschlossen, bevor er in den Takten 6 und 7 verkürzt wiederholt und damit bekräftigt wird. Ein „echter“ Takt 8 fehlt hier völlig, womit der Ablauf durch die Wiederholung der ersten 7 Takte „getrieben“ wird. Takt 7  hat den Rhythmus vom Takt 1, geht aber auf die Terz, als ob das ein Zwischenschluss sein soll, für den dann der Takt 1 der Wiederholung wie ein richtiger Schluss wirkt: Ein Perpetuum Mobile scheint gefunden! (Nach der Wiederholung gibt es einen echten Zwischentakt dann als Takt 1 des strukturell völlig anderen B-Teils.)

Die Harmonie-Begleitung nutzt ebenso Vorhalte, aber um einen Takt versetzt zur Melodie: Im Takt 2 der A-Dur-Quart-Vorhalt, der zwei Viertel gehalten wird (und ja eigentlich die Prime der d-Moll-Neben-Tonika vorwegnimmt). Im Takt 5 kommt wieder der Quart-Vorhalt, diesmal parallel zur Melodie, und im Takt 7 kommt er noch stärker, nämlich als Subdominante (also der ganze Akkord auf der Quarte der Tonika!).

Dann geht es zuerst in die Wiederholung, wo jetzt der Sekund-Vorhalt nach dem vorangegangenen Harmonie-Gewitter als relativ harmlos empfunden wird!

Auch der Rhythmus der Harmoniewechsel ist interessant gestapelt: Er wechselt von Viertel 1 und 3 zu Viertel 1 und 4 und dann wieder Viertel 1 und 3 usw. usf. Kompositorisch scheinen anfangs also je zwei Takte zusammenzugehören, was durch die ungerade Anzahl im A-Teil aber aufgehoben wird.

Aber sehen wir uns noch die feinen Details an:

Vom Takt 3 zum Tak 4 gibt es zwei Ganzton-Rückungen (Dm -> C -> Bb) -nach unten, was wie zweimal Doppelsubdominante angesehen werden kann, deren zweite Rückung am Ende des Taktes 4 aber wieder rückgängig gemacht wird und dann als C7 klar als Dominantseptakkord zur Haupt-Tonika verstanden werden kann, womit nachträglich das Bb als Subdominante fühlbar wird. Im verkürzten Schluss des Taktes 6 geht man die „Dominant-Treppe“ ordentlich nach unten, indem nach d-Moll die Doppeldominante G eingefügt wird, um die Treppe sofort wieder zu verlassen, weil statt C7 als Dominante zu F plötzlich Bb als Subdominante ertönt. Das verstärkt aber das Schluss-Empfinden nur und macht erwartungsfroh, wie es denn im B-Teil weitergehen könnte.

Sowohl bei der Schreibweise der Harmonien als auch bei der konkreten tonlichen Umsetzung muss man natürlich auf die eingesetzten Instrumente achten. Man kann natürlich im Takt 2 statt A7sus4 auch Em7 schreiben und so für den E-Bass einen nicht extra zu notierenden Abgang F – E – D erzeugen. Dabei tritt dann aber der Vorhalt-Gedanke hinter den Walking Bass zurück.

B-Teil

Takt 8 (der erste des B-Teils) ist kompositorisch ein wahres Zwitterstück mit den Funktionen „Schluss des A-Teils“ und „Beginn des B-Teils“, also eigentlich ja eine Überleitung. Dieser Takt vermittelt zwischen dem F-Dur-Ende auf der Terz A, indem er das A übernimmt und zur Prime der Terzparallelen umdeutet, um dann als auflösender Quart-Sprung zur Mollparallelen-Prime dienen zu können.

Diese dient im Takt 9 aber nur im ersten Viertel als Auflösung und zwischen-Tonika, denn es setzt sofort wieder der harmonische Ablauf aus dem A-Teil wieder ein, aber nun je ein Viertel lang, also deutlich beschleunigt: d-Moll, C-Dur, B-Dur als Harmonie absteigend, die Melodie dazu aber aufsteigend D – E – F. Im vierten Viertel dieses Taktes 9 wird alles wieder zurückgenommen auf d-Moll und führt dann im Takt 10 zu einem anderen Ablauf, nämlich der Dominant-Treppe über g-Moll und C-Dur (jetzt wieder je zwei Viertel lang!) zurück zu F-Dur im Takt 11, wobei die Melodie wieder auf der Terz (A) bleibt, um anschließend die ersten drei Takte des B-Teils zu wiederholen, aber mit einem versöhnlichen Schluss im Takt 15, nämlich auf der Oktave F, von wo aus es sofort nach unten geht, damit im nächsten Takt 16 mit dem Sekund-Vorhalt der Liedbeginn wie im Takt 1 (A-Teil!) wiederholt werden kann.

C-Teil

Teil C ist mit Tei A fast identisch, lediglich die letzten beiden Takte werden fast identisch wiederholt, wodurch sich die hier zu Mollparallele-Doppeldominante-Subdominante-Tonika erweiterte Kadenz (eigentlich Dominante-Subdominante-Tonika, wenn man mit der Melodie abwärts auf der Terz enden will) endgültig als Wiedererkennungs-Merkmal einprägt. Die beiden letzten Takte verzichten auf den Start auf der Mollparallele und sind normalerweise mit einem Ritardando versehen, wodurch der Schluss (den Liedtext unterstreichend) friedlicher wirkt.

FAZIT

Der hohe Wiedererkennungswert von „Yesterday“ hat zwei Gründe:

(Erinnerung: Ohne funktionierenden „mitlaufenden Erwartungsbaum“ – also ständigen Vergleich des Gehörten mit erwartbaren „Mustern“ – kann Musik nicht genussreich gehört werden! Das trifft übrigens auch für andere Geräusche zu, die wir „Sprache“ nennen… vgl. 4.4.3 Struktur der Sprache ; verstehen wir also Musik als „Sprache“, kommen wir leichter zum „Improvisieren als Sprechenlernen“!) 

(Siehe auch die Gedanken zum Gitarrelernen im Abschnitt G!)

 

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