Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


G2 Aufbau der Dur-Tonleiter und ihr Spielen

Komplex 2: Die Dur-Tonleiter und ihr Spielen auf der Gitarre

Wie kann man sich die Dur-Tonleiter verständlich machen?

WISSEN: Der Physiker sagt ganz einfach, dass sie den Dur-Dreiklang als Haupttöne enthält, welcher aus den Obertönen 3, 4 und 5 des harmonischen Oszillators besteht. Den Schluss bildet die Oktave auf dem 3. Oberton, also der 7. Oberton. (Das klingt verwirrend, denn der dritte Oberton hat die vierfache Frequenz und der 7. die achtfache des Grundtons, weshalb sie untereinander im Verhältnis 2:1 stehen und also tatsächlich Oktaven sind. Die Oberton-Numerierung ist also unglücklich angelegt, sie ist um 1 niedriger als die Lösungsnumerierung der Schwingungsgleichung.) Dazwischen sind noch Durchgangstöne so angesiedelt, dass zwei identische Hälften der Tonleiter entstehen: Ganzton, Ganzton, Halbton, Rückung um Ganzton, Ganzton, Ganzton, Halbton.

(Für Interessierte: Man kann auh die anderen Töne der Tonleiter als Vielfache des Grundtons ansehen, die dann um einige Oktaven hinuntergesetzt werden müssen, aber seit der Einführung der „wohltemperierten Stimmung“ sind die ganzrationalen Verhältnisse aufgeweicht, was hier zu weit führen würde. Selber googeln!)

Beispiel in C-Dur:

c-d-e-f; g-a-h-c‘ (Dreiklangtöne hervorgehoben)

Wenn man das nun rhythmisch so gliedert, dass in einem 4/4-Takt die Dreiklangtöne auf die betonten Takt-Teile 1. und 3. Viertel kommen, so hat man mehrere Varianten zur Verfügung und ist schon mitten im Anfang der „Kontrapunkt“-Lehre (Begriffe Haupt- und Neben- oder Durchgangs-Töne) und Muster für die Bezüge von Melodie-Teilen.

In der oberen Zeile sind zwei einfach Varianten dargestellt:

Im zweiten Beispiel der oberen Zeile sind Harmonie-Angaben hinzugefügt, die bedeuten sollen, wenn eine Gitarre diese Melodie spielt (oder ein anderes Instrument oder eine Singstimme), so kann mit den angegeben Akkorden begleitet werden. (Seit Rameau ist es üblich, die Grundtonart oder ihren Dreiklang „Tonika“ zu nennen, die Tonart auf der Quinte „Dominante“ und die auf der Quarte „Subdominante“.)

Der erste Takt wird also voll in der Tonika begleitet, der zweite in der ersten Hälfte mit der Dominante und der Schluss wieder in der Tonika.

In der zweiten Zeile wird der Rhythmus geändert, was dazu führt, dass vormalige Durchgangstöne plötzlich betont sind und ein neues harmonisches Gefüge erzeugen: Jetzt besteht die Tonleiter aus zwei ähnlichen Hälften:

Erste Hälfte: Die Tonika C führt zur Subdominante F als zwischenzeitlichem Ruhepunkt (e‘ ist Leitton zu f‘). Da Tonika und Subdominante relative Begriffe sind, kann man es lokal auch so umdeuten (diese Umdeutungen sind gerade das Spannende an der Harmonielehre, die sehr genau das Treiben in unserer Psyche wiederspiegelt!!), dass C die Dominante zur Tonika F ist!

Zweite Hälfte: Die Dominante G führt zur Tonika C (h‘ ist Leitton zu c“).

Zusammengefasst:

Erstens: Die 4. und 5. Töne der Dur-Tonleiter („Stufen 4 und 5“) sind harmonisch umdeutbar, indem sie gleichtzeitig die Grundtöne der im Quintenzirkel (nachschlagen!!! und unbedingt sicher lernen!!!) benachbarten Tonarten Subdominante und Dominante sind.

Zweitens: Halbtonschritte werden als Übergang von Leittönen zu Zieltönen empfunden. Damit kann man herrliche Spielchen mit der Psyche machen, konkreter mit der Erwartugshaltung des Zuhörers (und natürlich des Spielers selbst, der ja ebenfalls empfindet!).

Drittens: Je nach rhythmischer Aufteilung können unterschiedliche Töne einer Tonleiter harmonisch relevant werden.

DESHALB: Tonleitern sind als Elemente von Melodien wesentlich und müssen deshalb gründlich GEÜBT werden.

ABER: Wie spielt man auf der Gitarre Tonleitern am einfachsten?

ÜBEN, ÜBEN, ÜBEN:

Erstens: C-Dur-Tonleiter mit leeren Saiten.

Grundsätzlich kann man den Fingersatz für jeden Ton durch Auszählen der Halbton-Bünde auf dem Gitarrenhals selber ermitteln.

Beginn auf der A-Saite mit c‘, also 3. Bund.

Dann d‘ als leere D-Saite, dann e‘ auf dem 2. Bund, f‘ auf dem 3. Bund.

Dann g‘ als leere G-Saite, dann a‘ auf dem 2 Bund.

Dann h‘ als leere H-Saite, dann c“ auf dem 1. Bund.

Jede andere Tonleiter hat dann einen anderen Fingersatz!

Wer soll sich das merken? (Jeder Pianist muss jede Tonleiter getrennt üben, weil die Anordnung von weißen und schwarzen Tasten jedesmal anders ist…)

Zweitens: Tonleiter OHNE leere Saiten

Auf der Gitarre gibt es eine andere Möglichkeit, nämlich ohne leere Saiten zu spielen und damit auf dem Griffbrett in jede beliebige „Lage“ (bezeichnet nach dem niedrigsten vorkommenden Bund anstelle der leeren Saite) wandern zu können.

Einer der vielen möglichen Vorschläge (selber andere Varianten erforschen durch akribisches Zählen von Halbtönen!!!) ergibt sich unter der Randbedingung, dass kein Finger weggespreizt werden muss (der 1. Finger zum Beispiel auf einen Bund niedriger oder der 4. Finger auf einen Bund höher abgespreizt, was hier entfällt):

Dann kann man über zwei Oktaven eine Tonleiter mit folgendem Fingersatz ohne Zusatzspreizung spielen:

E-Saite                                                                            1   2

H-Saite                                                            2   4

G-Saite                                             1   3   4

D-Saite                            1   3   4

A-Saite            1   2   4

E-Saite  2   4

Die Halbtonschritte sind hier immer auf der gleichen Saite zu spielen (repräsentiert durch aufeinanderfolgende Zahlenwerte), jeder Saitenwechsel aber ist damit ein Ganzton. (Genau deshalb braucht man keine Zusatzabspreizung des Zeigefingers, weil es vom 1. Finger bis zum 4. Finger 3 Halbtonschritte sind, die eine Kleine Terz ergeben! Die Große Terz erforderte eine Spreizung…)

Für G-Dur beginnt man also in der 2. Lage, das heißt, der Start mit dem 2. Finger ist auf dem 3. Bund (denn der erste Finger wäre ja auf dem 2. Bund). Hier beide Versionen (mit und ohne leere Saiten) in der normalen Notation und als Tabulator-Notation (sechs Zeilen für sechs Saiten mit Bund-Nummern, Fingersatz-Hinweis-Ziffern zusätzlich über dem TAB eingefügt)

Für As-Dur rutscht man also einfach einen Bund höher: mit dem 2. Finger als Start auf den 4. Bund (3. Lage). Der Fingersatz ändert sich tatsächlich nicht!! Davon können Pianisten (mein Hauptinstrument ist das Klavier) nur träumen! Für C-Dur auf der Gitarre muss man nun also nur einfach vier weitere Bünde hochrutschen, also mit dem 2. Finger auf dem 8. Bund (7. Lage) beginnen. Hier lässt die erforderliche Spreizung schon stark nach. Das erinnert stark an Videofilmchen, wo die Gitarristen immer dicht am Griffbrettende spielen…

Alle Tonleitern haben jetzt den gleichen Fingersatz! Die Tonleiter mit den niedrigsten Bünden wäre dann F-Dur, wo wir mit dem 2. Finger auf dem 1. Bund beginnen würden und der 1. Finger nichts zu tun hätte. („SCHEMA F“)

Bei der Ausnutzung aller 4 Finger auf allen 6 Saiten erweitern wir dann sogar die beiden Oktaven nach unten um einen Halbton und nach oben um einen Ganzton. Das kann bei Melodien helfen, die kurz unter den Grundton tauchen, um aus der Stufe 7 der darunterliegenden Oktave als Leitton zurück zum Grundton zu kommen, oder die über den oberen Rand zur None (Stufe 9 = Stufe 2) gehen, um von dort (z.B. über den Umweg Stufe 7) wieder zum Grundton zu gelangen.

HAUSAUFGABE 1: Finde drei Kinderlieder, die mit den ersten 5 Tönen der Dur-Tonleiter beginnen und spiele sie in verschiedenen Lagen! Und überlege Dir die besten Begleitakkorde im Wechsel von Tonika (für betonte Stufen 1,3,5), Subdominante (für Stufen 1,4,6) oder Dominante (für Stufen 2,5,7).

(Die Besonderheiten des Dominant-Sept-Akkordes für die Stufe 4 kriegen wir später!)

HAUSAUFGABE 2: Finde andere Fingersätze für die Dur-Tonleiter (es gibt insbesondere für den Fall einer einzigen Tonleiter-Oktave auch andere, insbesondere für die höheren Saiten…), indem du mit einem anderen Finger oder auf einer anderen Saite beginnst. Liegt dir einer davon besser als der oben vorgeschlagene?? Dann mache ihn zu deinem Favoriten!

HAUSAUFGABE 3: Finde Fingersätze für die Moll-Tonleitern (informiere dich zuerst über die verschiedenen Moll-Tonleitern!) und übe sie!

Übrigens: Wie lange das ÜBEN für die obigen Übungen dauert, bis man es richtig kann, ist individuell verschieden und hört streng genommen sogar nie auf, weil man das ein Leben lang mechanisch auffrischen muss, obwohl man es geistig verstanden hat. Es sollte also zur Gewohnheit werden, dass man ein Leben lang jede Spielstunde nach dem Stimmen mit einer Tonleiter und einem Lieblingsakkord beginnt…

LÖSUNG der Hausaufgabe 1 z.B.:

1. Alle meine Entchen (nur Stufe 1 bis 6)

2. Fuchs, du hast die Gans gestohlen (ganze Oktave außer Stufe 7)

3. Horch, was kommt von draußen rein (vorletzter Ton ist die gerade erst besprochene None!)

LÖSUNG der Hausaufgabe 2:

a) Mit der Randbedingung, dass wir ohne Spreizung auskommen wollen, können wir mit etwas Zähl-Mathematik behaupten, eine solche Tonleiter muss bei der Nutzung der leeren Saiten mit den Bünden 1 bis 3 auskommen können, die dann später den Fingern 2 bis 4 zugeordnet werden müssen. (Der 1. Finger repräsentiert dann die anfangs leeren Saiten…)

b) Mit dem Wissen, dass die Tonarten rechts von C-Dur je Position ein # zusätzlich, links von C-Dur ein b zusätzlich bekommen, können wir schließen, dass aus unseren oben dargestellten Ganztonschritten bei Saiten-Wechsel Halbtonschritte werden können, was zur verbotenen Fingerspreizung führen würde. Deshalb bleibt nur C-Dur übrig, wenn wir alle sechs Saiten nutzen wollen. Nachteil: Der Umfang geht nicht über zwei volle Oktaven, was durch den Vorteil ausgeglichen wird, die innere Oktave nach unten um eine Sexte und nach oben um ein Quinte erweitern zu können, was bei vielen Liedern hilft. (SCHEMA C)

Hier das Erarbeiten des Schemas in C-Dur mit leeren Saiten (Bund-Nummer gleich Finger-Nummer in der 1. Lage!):

Und hier nun die Anwendung dees relativen Fingersatzes in zwei Beispiel-Tonarten D und E:

Wenn man den Fingersatz gründlich ansieht, so erkennt man, dass immer wieder pro Saite gleiche Gruppen (1-2-4 oder 1-3-4 oder 1-3) entstehen. Das ist auch oben beim Schema F so ähnlich gewesen (dort auch die 1-2 und die 2-4). (Ist man in der Lage, sich diese Gruppen wie „Wörter“ zu merken, wird das Auswendiglernen des Tonleiterspielens einfacher!)

Übrigens sind bei vielen Gitarren am Griffbrett Marken angebracht (z.B. 3., 5. und 7. Bund, also Kleine Terz, Quarte und Quinte), die das Spielen in höheren Lagen für Rechtshänder erleichtern sollen.

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