G7: Erweiterung der Dreiklänge durch Mehrklänge und deren Anwendung
Komplex 7: Die Funktion der Mehrklänge und ihr Spielen auf der Gitarre
Wenn man Mehrklänge mit mehr als drei Tönen verstehen will, sollte man noch einmal die Dreiklänge wiederholen. Man kann alle Mehrklänge einfach auswendig lernen und je nach Harmonie-Angabe in den Noten einfach runterspielen. Man kann sie auch „nach Gefühl“ verwenden, und das ist gar nicht so abwegig, weil ihre Funktion ja tatsächlich die Erzeugung von Gefühlen, speziell von Erwartungen, ist. Diese Erwartungen können je nach Vorbildung eng mit dem Verstand verbunden sein, was ein riesiges Feld von Genussmöglichkeiten aufspannt…
Das Zauberwort heißt „Leitton“. Schon bei der Dur-Tonleiter haben wie zwei Halbtonschritte erkannt, die im einfachsten Fall Aufwärts-Leittöne sind. Wiederholung: In der C-Dur-Tonleiter sind das e als Stufe 3 der Leitton zum f als Stufe 4 (Grundton der Subdominante) und das h als Stufe 7 (oder Stufe 3 der Dominante) der Leitton zum c‘ als Grundton der Tonika.
Spielen wir zum Beispiel die zweite Umkehrung des Dominant-Dreiklanges gebrochen aufwärts wie eine Melodie, also in C-Dur d-g-h, so verstärkt das unser Gefühl, dass eine Auflöung zu c‘ (und somit zur Tonika) folgen muss.
Erste Akkord-Ergänzung als Neuerung: Der Dominant-Septakkord
Diese Gefühls-Ansprache kann noch dadurch verstärkt werden, dass wir statt der einfachen zweiten Umkehrung des Dominant-Dreiklangs die kleine Septime der Dominante, das f, hinzufügen, das ja seinerseits ein Abwärts-Leitton (=“Gleitton“) zum e (Terz des Tonika-Dreiklangs) darstellt. Jetzt sind in dem nun entstandenen „Dominant-Septakkord“ schon zwei Auflösungs-Erwartungen gleichzeitig vorhanden und geben der Fortsetzung mehr „Drive“:
Hier sind zwei Varianten (die zweite mit den Tönen der 6-Saiten-Grundgriffe G7 und C) dargestellt. In der ersten Variante sind die beiden Leittöne f und h im ersten Takt auf die unbetonten Viertel („Durchgangstöne“) 2 und 4 gesetzt, was zusätzlich zu den harmonischen Aspekten den kontrapunktischen Aspekt bringt, das die Auflösung („Haupttöne“) auf betonten Vierteln erwartet wird, was auch im zweiten Takt mit c‘ und e auf den Vierteln 1 und 3 erfolgt.
In der zweiten Variante (Takte 3 und 4) ist die Auflösung enger zusammengeschoben und deshalb noch wirkungsvoller, indem die letzten beiden Töne des ersten Taktes (beide in der Triole unbetont) die beiden gegenläufigen Leittöne h und f‘ sind, die in den ersten beiden Tönen des folgenden Taktes zur Tonika-Terz c‘-e‘ zusammenlaufen. Diese Terz wird in der zweiten Triole wiederholt und der Schluss also bekräftigt.
Übrigens klingt das am schönsten mit zwei Gitarren: Eine spielt die Melodie und die andere die Harmonie-Akkorde. (Allein mit Looper geht auch…)
Beim Spielen auf der Gitarre kann man beim Zupfen die Auflösungstendenz (Erwartungshaltung, „Strebewirkung“) der Leittöne dadurch verstärken, dass man bei Dominant-Septakkorden nur die beiden Leittöne und deren beide Auflösungen gleichzeitig zupft und ansonsten Melodie spielt. (Das ist wie beim Singen mit zeitweilig verstärkender Zweitstimme…)
Mit dieser Anfänger-Erkenntnis können wir uns nun weiteren Akkord-Erweiterungen und ihren Funktionen zuwenden:
Zweite Akkord-Ergänzung als Neuerung: Der Sextakkord
Jetzt lernen wir etwas Neues kennen, nämlich das Spiel mit Zwei- und Mehrdeutigkeiten in der Harmonik. Oben, beim Dominant-Septakkord, wurde die eindeutige Auflösung-Erwartung noch verstärkt und es bedürfte schon großer Anstrengung, diese nicht zu erfüllen (kriegen wir später).
Wieso ist der Sextakkord zweideutig? Weil er leicht in den Moll-Septakkord der parallelen Molltonart umgedeutet werden kann. In C-Dur also Stufen 1,3,5,6 und in a-Moll Stufen 1,3,5,7 bzw. 3,5,7,8. Dadurch erhält dieser Akkord etwas Schwebendes oder Hinhaltendes, was ihn für manche Melodien und ihre Texte geeignet macht und bei vielen Gitarristen deshalb beliebt ist. (Nebenbei: Er enthält vier der fünf Töne der Pentatonik und ist somit auch ein Begleit-Allrounder. Wir haben ihn nebenbei als Bass-Gang schon im einfachen Blues-Schema im Komplex 4 kennengelernt!)
Ein einfaches Zweitakt-Beispiel soll mit seinen vier Varianten die schwebende Erwartung mit der Sexte illustrieren:
Diese Figuren können mehrfach wiederholt werden und schüren die Erwartung, dass nun „irgendetwas“ passieren müsste, aber ganz konkret ist die Erwartung nicht wirklich, man fühlt sich dann hingehalten oder aber „es groovt“ in alle Ewigkeit, besonders, wenn man es Swing-artig (eigentlich besser in Triolen) punktiert:
oder mit weicherem Schluss:
Eine „Auflösung“ würde hier zu F-Dur führen, aber es „groovt“ nur, wenn diese durch ewige Wiederholung ausbleibt. Sollte es nicht „grooven“, wird es stinklangweilig!
Fazit, wir haben nun den Sept- und den Sextakkord kennengelernt, im letzten Beispiel sogar gemeinsam.
Also weiter:
Dritte Akkord-Ergänzung als Neuerung: Der Major-Akkord mit der Großen Septime (Dur-Tonika-Stufen 1,3,5,7)
Dieser Vierklang-Akkord ist bei vielen Gitarristen als Standard-Begleit-Akkord beliebt, weil er so schön schräg klingt. Die Große Septime suggeriert ein wenig, dass zusätzlich zur Tonika noch ein wenig Dominante mitklingt, was beim Fünfklang Sept-Nonen-Akkord Cmaj9 sogar komplett der Fall ist (Stufen 1,3,5,7,9). Damit will sich dieser Akkord ständig zu sich selbst auflösen und gibt also wieder etwas „Drive“.
Da dieser Vierklang auch schon von J.S.Bach und Beethoven viel benutzt wurde und auch in den „Liedern ohne Worte“ bei Mendelssohn-Bartholdy zu finden ist, können wir also davon ausgehen, dass er wirklich unterschiedliche Erwartzungen zu erzeugen in der Lage ist und also wieder in die Klasse „vieldeutig“ einzuordnen ist. Welche Erwartungen können das sein?
folgt…
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