Joachim Adolphi

Struktur als Protokoll des Werdens


4.3.0 Dilemma des Musikunterrichts

Will man jemanden in Musik unterweisen, hat man ein riesiges Problem: Jeder Mensch ist auch ohne Unterweisung von Natur aus musikalisch, das heißt, er kann eine Tonfolge mühelos wiedererkennen. Darauf beruht schließlich ein riesiger Markt…

Und noch etwas: Jeder Mensch kann spielend leicht Körperbewegungen nachahmen, die man unter anderem zum Spielen auf Musikinstrumenten benötigt.

Und schließlich: Jeder Mensch kann sich schnell Handlungsabläufe einprägen, ohne sie im einzelnen beschreiben können zu müssen (weshalb er sie dann nicht teilweise, sondern nur im Ganzen ablaufen lassen kann).

ACHTUNG: Setze ich hier für „MENSCH“ das Wort „TIER“  ein, treffen die obigen drei Aussagen für höhere Tiere ebenfalls zu. Man freut sich im Zirkus  oder bei Haustieren stets darüber.

Auf diesem Niveau kann man Lieder auswendig singen oder spielen lernen und „wie ein Profi“ auftreten. Aber: Man muss jedes Lied neu von der Pike auf einstudieren.

Machen wir einen verständlichen Vergleich:

Man übt mit einer Kindergartengruppe ein Gedicht oder ein Lied ein, was ohne jede Kenntnis von Lesen (weder von Texte noch von Noten) funktioniert. Das klappt sogar in einer unbekannten Fremdsprache!

Legt man aber ein geschriebenes Gedicht vor, sind die kleinen Kinder überfordert. Große Geschwister aber können das Gedicht, dass sie nicht kennen, richtig (auch mit richtigem Rhythmus und richtiger Betonung) laut vorlesen. (Sie spüren unter Umständen Verbesserungsmöglichkeiten und machen es beim zweiten Mal Vorlesen noch besser.)

Erweitern wir den jetzt den LESE-Vergleich:

Wenn jemand sagt, er könne „Noten lesen“, meint er dann damit, dass er ein ihm unbekanntes Lied „vom Blatt“ singen kann?

Leider ist es meist nur so, dass man die Noten einzeln ansagen kann (wie die Buchstaben der Wörter eines Gedichts), aber ihre Wiedergabe nicht ohne Unterstützung eines Instruments klappt.

Woran liegt das? Sowohl an fehlendem Verständnis als auch an fehlender Übung!

Daraus folgt ein grundsätzlicher Klärungsbedarf zwischen Musiklehrer und Musikschüler über das Ziel des Unterrichts:

Sollen einige wenige konkrete Musikstücke auswendig gelernt werden (Minimalziel) oder soll das Beherrschen des Intruments zum Zwecke des „Lauten Lesens“ von (unbekannten!) Noten (Maximalziel) erreicht werden?

Von der Entscheidung zwischen beiden Zielen hängt schon die Didaktik des Unterrichts-Anfangs ab: Wie viel Verstehen soll von Anfang an dabei sein?

Übrigens: Das Minimalziel kann man ohne Probleme mit Hunderten von You-Tube-Videos anpeilen.

Deshalb beschäftigen wir uns hier mit dem Maximalziel.

Der Unterricht teilt sich dann in drei „Verfahren“:

Das Ziel ist dann also, dass man das Gelesene einerseits versteht und andererseits umzusetzen in der Lage ist.

Die Kunst ist dann, dass die Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler so gut ist, dass weder Unter- noch Überforderung, also weder Langeweile noch Verzweiflung entstehen.

Die Themen für die beiden letzten „Verfahren“ sind in den folgenden Gliederungspunkten das Abschnitts 4,3 vorsichtig angedeutet.

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